Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
verrücktspielten und ein merkwürdiges Eigenleben entwickelten. Und obwohl er früher nie unter Atembeschwerden gelitten hatte, überfielen sie ihn jetzt mit grässlicher Intensität. Als die Luft immer weniger wurde und das Zucken sich über den mickrigen Rest seines noch intakten Körpers ausbreitete, dachte er für einen Augenblick ans Sterben.
Doch dann setzte der verdammte Überlebenswille ein und er drückte den roten Knopf auf der Fernbedienung, die an seinem Rollstuhl befestigt war, um einem Zwischenfall wie diesem vorzubeugen. Noch im Zusammensacken hörte er, wie die Stahltür zu seinem acht Quadratmeter großen Reich aufgerissen wurde und der Beamte hereinstürzte, mit dem er gerade noch gesprochen hatte. Es war der ältere Wachpolizist mit dem breiigen Gesicht und den Schatten eines vergeudeten Lebens, die sich über seine Züge gelegt hatten und diese nach unten zogen.
„Sagen Sie dem Polizisten von der Mordkommission, er soll sich die Anzeige in dem Modemagazin ansehen, weitere Anzeigen suchen und mit den Bildern vergleichen. Sagen Sie es ihm – bitte“, flüsterte er. Als der Gefängnisarzt mit den Sanitätern auftauchte, hagelte es bereits Blitze vor seinen Augen und die gelähmten Nerven spielten verrückt. Sie jagten einen Stromstoß nach dem anderen durch seinen kaputten Rücken zurück ins Hirn und nicht nach unten in die Beine, wo es wichtig gewesen wäre. Wie eine Puppe hoben ihn die Sanitäter aus dem schwarzen Rollstuhl und seine Beine schlenkerten lächerlich und nutzlos wie dünne Streichhölzer in der Luft.
„Die Tatortfotos mit den Anzeigen vergleichen und weitere suchen“, keuchte er noch einmal, als er bereits auf der Bahre lag und ihn die Sanitäter im Laufschritt in die Krankenstation schoben. Jetzt sah er aus wie die anderen Häftlinge in diesem Zellentrakt, die ihm neugierig nachstierten, alles Mörder, die eines oder mehrere Leben ausgelöscht hatten und dafür jetzt büßen mussten. Mörder, die vielleicht nur die entfernte Möglichkeit einer bedingten Entlassung am Leben erhielt. Die vielleicht nach Jahrzehnten der Haft in eine Welt gestoßen wurden, die sie überhaupt nicht mehr verstanden, in der sie erneut scheitern würden und die sie ausspucken würde wie ein grünlich schillerndes Stück Aas.
„Diese Anzeige mit dem ersten Bild vergleichen“, flüsterte er krächzend und umklammerte den Arm des Beamten, der mit den Sanitätern mitsprintete und so eifrig nickte, dass die Schuppen aus seinen Haaren über das Gesicht des Mannes auf der Bahre wie sanfter Schnee rieselten, und er wiederholte seine Bitte: „Die Modezeitschrift auf meinem Tisch, mit den Post-its, die ich auf die Anzeigen geklebt habe. Geben Sie die Zeitschrift mit den Post-its Chefinspektor Tony Braun, wenn er kommt!“
41. Die Stunde null beginnt
Elena Kafka drückte bereits den dritten Nikotinkaugummi aus der Blisterverpackung und steckte ihn gedankenverloren in den Mund. Zwischen ihren Handflächen drehte sie den Gummiball, hatte sich aber Brauns Bitte zu Herzen genommen und schoss ihn nicht mehr pausenlos an die Wand.
„Unser Hauptverdächtiger ist tot“, brachte Tony Braun die frustrierende Tatsache in der Mordkommission auf den Punkt. „Wir müssen also wieder von ganz vorne beginnen!“
„Bleibt noch immer dieser Kreativdirektor der Modeschule ,Herzblut‘, Dimitri di Romanow“, versuchte Berger die gedrückte Mannschaft ein wenig aufzuheitern.
„Hat Gruber etwas über die letzten Stunden von Tim Kreuzer herausgefunden?“, fragte Braun und blickte suchend in die Runde. Doch Gruber war noch immer nicht aufgetaucht.
„Er hat mir gestern noch eine Mail geschickt!“, rief Chiara und streckte ihre Hand wie eine Schülerin in die Höhe. „Tim Kreuzer und Dimitri di Romanow hatten in einem Lokal Streit. Und kurz vor Mitternacht wurde di Romanow auf der Promenade in Gmunden gesehen, in der Nähe des Yachthafens.“
„Na bitte!“ Elena Kafka seufzte tief auf und knallte den Ball nach einem entschuldigenden Blick auf Braun an eine Wand der schwarzen Halle. „Jetzt geht es mir besser! Worauf warten wir! Die Kollegen in Gmunden sollen Dimitri di Romanow festnehmen und ihn zu uns bringen.“ Sie schnippte mit den Fingern zu Berger und dieser klemmte sich auch sofort an das Telefon, um alles in die Wege zu leiten.
„Seht euch doch einmal die Bilder an, die wir in dem Drecksloch von Jonas Blau gefunden haben!“, rief Braun und klopfte mit seiner Kaffeetasse auf den Besprechungstisch, um
Weitere Kostenlose Bücher