Alle müssen sterben - Thriller (German Edition)
dem großen Wohnzimmer, das sich Chloe so wohnlich eingerichtet hatte. Das Sofa hatte sie vor den Kamin geschoben, es war allerdings durch den ständigen Regen schon ganz aufgequollen. Denn ihr Wohnzimmer hatte ja kein Dach mehr. War alles abgebrannt. Die vielen Tischchen standen daher im Regen, manche modrig, andere durch das Wasser angefault, aber alle noch wunderschön. Auf den verzogenen Platten hatte sie ihren Schmuck ausgebreitet. Diese Schmuckausstellung schien dem Mann zu gefallen, denn seine schönen braunen Augen blickten bewundernd auf Chloes Kunstwerke. Als er ein Geräusch hörte, drehte er sich blitzartig um, ging in die Hocke und brachte seine Pistole in Anschlag. Er bewegte sich geschmeidig wie ein gefährliches Raubtier, wie ein Panther. Regentropfen glitzerten auf seinem schwarzen Sakko wie winzige Perlen und immer wieder musste er sich die tropfnassen Haare aus dem interessant verlebten Gesicht streichen, denn es regnete ununterbrochen.
Der Boden in ihrem Wohnzimmer stand schon mehrere Zentimeter unter Wasser, deshalb bewegte sich der Mann auch so vorsichtig und in der Ecke, wo sich die Erde gesenkt hatte, schwappte das Wasser gegen geschwärzte Mauerreste, doch das schien ihn nicht weiter zu stören.
Ja, ja, ja, dieser Mann schätzte ihren Schmuck, das konnte Chloe ganz genau sehen. Mit fast zärtlichen Bewegungen nahm er jedes Stück in seine starken, männlichen Hände, drehte es prüfend und legte es sachte wieder zurück. Immer wieder musste Chloe mit dem Ärmel ihrer Regenjacke über das Display ihres Handys wischen, um etwas zu erkennen. Ob sie sich in diesen Mann verlieben sollte? Bald würde er das durch den Regen beinahe unsichtbare Bild entdecken, das ein anderer Liebhaber von dem nackten Banshee-Mädchen gezeichnet hatte.
Ob er jetzt wohl eifersüchtig werden würde? Das wäre schade, sehr schade sogar, denn dann würde alles wieder von vorne beginnen und eine neuerliche Katastrophe würde sich anbahnen. Aber nein, ohne eine Miene zu verziehen, stellte er das Bild wieder zurück in den Regen, ging zielstrebig, ohne sich jetzt weiter um die Pfützen zu kümmern, durch ihr Reich. Stand vor der Tür, klopfte, wollte anscheinend in den anderen, weniger aufregenden Teil ihres Forsthauses, wo das Feuer nicht so gewütet hatte.
„Chloe Darbo? Sind Sie zu Hause?“
Wieder klopfte er an die dünne Zwischentür, diesmal heftiger.
„Chloe Darbo! Hier ist Chefinspektor Braun aus Linz. Sind Sie zu Hause? Ich habe ein paar Fragen an Sie!“
Chloe presste die Augen zusammen und krallte ihre Finger in das zottelige Fell von Rufus. Sie wollte auch die Ohren verschließen, um überhaupt nichts mehr zu hören, um abzutauchen, wie morgens, wenn sie in den kristallklaren See sprang. Doch das andere Mädchen war da, um sie zu tadeln.
„Was habe ich dir gesagt! Er kennt schon deinen Namen! Mutter wird entsetzt sein, wenn sie herausfindet, dass du eine Schlampe bist!“
Durch eine gesprungene Fensterscheibe sah sie den Mann jetzt in der Küche umhergehen, mit spitzen Fingern hob er eines ihrer T-Shirts aus einem Berg von Kleidern, die auf dem Boden lagen, und betrachtete den Aufdruck vorne. Er nahm eine von Mutters zarten Porzellantassen in die Hand, roch daran, stellte sie auf das verschimmelte Tablett zurück. Leise schlich Chloe zum nächsten Fenster, von dem aus sie in den Saal sehen konnte, in dem ihr Himmelbett stand. Auch hier war das Dach halb eingestürzt und gab nachts den Blick auf den Sternenhimmel frei, wenn es nicht so wie jetzt schon seit Wochen regnete. Der Baldachin hatte ein Loch und die Regentropfen klatschten träge wie flüssiges Silber auf ihren wasserdichten Schlafsack, der sie auch im Winter wärmte. Gerne hätte sie sich jetzt dem Mann zu erkennen gegeben und sich mit ihm in dem feuchten Himmelbett geliebt.
„Du bist einfach komplett zurückgeblieben!“ Das andere Mädchen drängte sich vor das Fenster. „Warum glaubst du, ist er hier? Damit er dir schöne Augen macht? Kapierst du überhaupt nichts?“
Chloe nickte und presste die Lippen zusammen, schlug sich mit den Händen auf die Stirn.
„Klopf dir nur auf deinen Kleinkindschädel. Er ist hier, weil er das mit Mutter weiß!“
Wieso schon wieder Mutter? Was will er von Mutter?
„Du bist so dumm, dumm, dumm! Er macht doch dich für die Katastrophe verantwortlich. Geht das in dein klitzekleines Vogelhirn?“
Inzwischen hatte sich der Mann hingehockt, denn etwas war ihm aufgefallen und er wollte anscheinend unter
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