Heartbreak-Family – Als meine heimliche Liebe bei uns einzog (German Edition)
1
Ein Milchshake für Hollywood
Kismet ist Himmelblau mit einem feinen Stich ins Violett, aber nur ein klitzekleines bisschen. Es sieht aus wie die Blüten von Vergissmeinnicht. Das habe ich mir nicht ausgedacht, das ist so, weil meine Sinne miteinander verschmolzen sind. Wenn ich Worte oder Musik höre, sehe ich bunte Bilder. Manchmal bloß Farben und Formen, manchmal sogar richtige Landschaften, je nach Stimmung. Auch einzelne Buchstaben und Zahlen erscheinen mir farbig und systematisch im Raum angeordnet.
Aber Kismet ist noch mehr. Es ist mein Name. Jannah Kismet. Mit so einer Gabe und dem Namen kann man nur Glück haben, sagt mein Vater. Ich bin mir da nicht sicher, denn so zart und hübsch wie Kismet aussieht, so widerspenstig und unberechenbar kann es sein. Kismet ist Türkisch und heißt so viel wie Schicksal oder Bestimmung.
Ich denke, Kismet ist eine feine Sache, wenn die Dinge so laufen, wie ich sie gerne hätte. Doch leider klappt das nicht immer.
So wie neulich, auf dem Nachhauseweg von der Schule. Da hatte ich ein wunderschönes rosa Gefühl im Bauch. In der Physikarbeit hatte ich eine Zwei geschrieben, weil ich beim Thema Optik endlich begriffen hatte, warum ich kurzsichtig war. Mit Craig David im Ohr und dem besten aller Milchshakes in der Hand reckte ich den Kopf und ließ den Wind durch meine Haare wirbeln. Das Lied schwang von Rosa-Pink zu Orange und verharrte in leuchtendem Apricot.
Die Äste der Linden wölbten sich über mir, die Sonne sprenkelte mich mit grellen Tupfern, und ich wusste, dass gleich etwas Verrücktes passiert. Schwungvoll tanzte ich um die nächste Hausecke. Und knallte gegen etwas Hartes.
Vor mir stand Craig. Ich rieb mir die Nase und strahlte ihn begeistert an. Doch irgendwas stimmte nicht. Craig war Hellrot, und der Junge vor mir Olivgrün. Ich wusste nicht sofort, was daran falsch war. Manchmal erscheint einem das Leben für eine Hundertstelsekunde wie Hollywood, ist aber doch nur Hannover. Das war nicht Craig David aus meinem iPod. Leider.
Das war Ken aus meiner Schule, und er strahlte nicht. Er lächelte nicht einmal. Er sah an sich herunter, zog die dunklen Augenbrauen zu einem Wulst zusammen, bellte lautlos vor mir herum, und ich verstand gar nichts.
»Was?« Ich zog die Kopfhörer aus meinen Ohren.
»Meeensch!«, knurrte er und wischte angeekelt über seine Jacke, von der mein Schokomilchshake tropfte. »Kannst du nicht aufpassen? Blind, oder was? Mann, das gibt’s doch gar nicht!« Wütend wischte er weiter und verteilte damit die Soße noch mehr.
Von keinem anderen hätte ich mir das gefallen lassen. Bei jedem anderen hätte ich mich verteidigt, mich gewehrt, ihm die Schuld gegeben. Gemeckert. Mindestens.
Und bei Ken?
Sagte ich nichts. Nicht mal Blödmann oder so was. Ich ging einfach davon, während er noch über seine bekleckerte Jacke schimpfte. Und ärgerte mich, dass ich nicht wütend werden konnte. Mist.
Ausgerechnet in den musste ich hineinlaufen. In Ken aus der Zehnten, eine Klasse über mir. Der, mit dem ich noch kein Wort gewechselt hatte. Der wahrscheinlich nicht mal wusste, dass es mich gab. Ausgerechnet Ken, der meine Lieblingsfarbe trug, in den ich verliebt war. Verdammter Mist.
Wenn er nicht so sauer gewesen wäre, hätte ich glatt an mein Kismet gedacht. Endlich, hätte ich gedacht, endlich hat er mich angesehen. Endlich ist es passiert. Und dann auch noch wie im Film. Peng. Zusammenstoß. Wir gucken uns an. Mir zittern die Knie, und er lächelt.
Wenn er gelächelt hätte, wäre alles perfekt gewesen. Dann hätten wir uns ab jetzt gegrüßt. Er hätte vielleicht sogar morgens an der Haltestelle gewartet, um mit mir zur Schule zu gehen. Wir kommen nämlich aus entgegengesetzten Richtungen. Aber es war kein Tag für Wunder. Definitiv nicht. Eher für böse Überraschungen.
Das wurde mir spätestens am Abend klar, als Sepp mit meiner Mutter ausgehen wollte. Sepp ist ihr neuer Freund und Inhaber der Werbeagentur, in der sie arbeitet.
Meine Eltern haben sich vor einem halben Jahr getrennt, und ich vermute, dass er der Grund dafür war.
Jedenfalls fragte mich Sepp, ob ich eigentlich seine Kinder Ken und Merrie kennen würde, sie seien an derselben Schule wie ich. Ich dachte, ich hätte mich verhört. Ken der Sohn von Sepp? Das konnte nicht sein!
Noch während sich mein Hirn weigerte, seine Worte zu verstehen, wich mir schon alles Blut aus dem Gesicht, um in meinem Herzen einen Trommeltanz aufzuführen. Sepp der Vater von Ken.
Es stimmte.
Weitere Kostenlose Bücher