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Alle muessen sterben

Alle muessen sterben

Titel: Alle muessen sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. C. Schiller
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wieder ein, doch an seinen unruhig umherirrenden Augen konnte sie klar erkennen, dass er log. „Es ist eigentlich nichts Ernstes! Die Chemo ist nur dazu da, um sicherzugehen!“
    „Samsa ist zurückgekehrt“, flüsterte Kim und streckte ihre Arme und Beine im Sessel weit von sich, legte den Kopf in den Nacken. „Ich wusste, dass er mich nicht verlässt! Er braucht mich und ich brauche ihn!“
    „Samsa?“ Der Neurologe betrachtete sie jetzt mitleidig, so als hätte er eine Verrückte vor sich, und rückte erneut seine dünne Metallbrille zurecht.
    „Ich nenne den Tumor Samsa, weil mich das Scharren in meinem Kopf an den Käfer in Kafkas Erzählung ,Die Verwandlung‘ erinnert.“
    An dem Gesichtsausdruck des Neurologen konnte Kim ganz klar sehen, dass er sie für komplett verrückt hielt, aber mit seiner rationalen Weltsicht diese Verrücktheit auf die starken Tabletten zurückführte, die Kim ja alle zwei Stunden einnehmen musste.
    „Das mit der Chemo können Sie sich gleich aus dem Kopf schlagen. Verschreiben Sie mir lieber das flüssige Morphium, daran habe ich mich schon gewöhnt, das hilft“, redete Kim weiter und kramte hektisch in ihrem Rucksack, bis sie ihr Smartphone gefunden hatte.
    „Tun Sie mir einen Gefallen“, sagte sie dann zum Neurologen und dieser nickte betreten. „Fotografieren Sie mich dort unter dem Neonlicht. Zoomen Sie aber mein Gesicht ganz nahe heran.“
    „Das ist aber nicht sehr vorteilhaft bei dem grellen Licht“, warf der Neurologe mit dünner Stimme ein.
    „Eben deshalb“, sagte Kim und stellte sich unter das Neonlicht. Als sie das Foto betrachtete, fielen ihr zunächst ihre grünen Augen mit den schweren Lidern auf, die einen verträumt weggetretenen Eindruck auf sie machten. Doch sie wollte nicht noch ein Foto schießen, sondern schickte das Bild als Mail an Tony Braun. Als Erklärung hatte sie nur einen einzigen Satz geschrieben: „Samsa ist zurückgekehrt!“

54. Die „Wahren Werte“

    Eine Therapeutin war schuld, dass sich Tony Braun und Giorgio Miller kennengelernt hatten. Nach seiner desaströsen Scheidung und mehreren Aggressionsschüben musste Braun zwangsweise eine Psychotherapie absolvieren und seine Psychotherapeutin legte ihm nahe, sich sozial zu engagieren. Auf diese Weise kam er mit Giorgio Miller in Kontakt, der ein Internet-Talkradio namens „Wahre Werte“ betrieb und Braun anbot, einmal in der Woche nach Mitternacht als „Nighthawk“ eine ein- bis zweistündige Sendung zu gestalten, in der gute Musik gespielt wurde und in der Leute mit Problemen anrufen konnten, die Braun auf seine direkte Art und Weise kommentierte. Anfangs sträubte sich Braun ein wenig dagegen, doch mit der Zeit wurde die Sendung, die Braun „Talk ohne Limits“ genannt hatte, zu einem fixen Bestandteil seines Lebens und Brauns brutal ehrliche Antworten verhalfen der Sendung zu einem gewissen Kultstatus.
    Das Studio des Internetradios „Wahre Werte“ befand sich in einem umgebauten Teil des ehemaligen Linzer Schlachthofs. Der alte verwitterte Industriebau wurde schon seit Jahren nicht mehr als Schlachthof genutzt und die Stadt Linz hatte die verschiedenen Hallen und Büroräume adaptiert und an unterschiedliche Firmen, die in der Medienbranche tätig waren, vermietet.
    Der Eigentümer der „Wahren Werte“, Giorgio Miller, war bereits Ende sechzig, trug jedoch noch immer den Hippielook seiner Jugend und war ein alter Hase im Mediengeschäft. Schon in den Sechzigerjahren hatte er vor der holländischen Küste auf einem Frachtschiff ein Piratenradio betrieben, dann in Mexiko das berühmte linke „Radio libre“, das sich gegen die Einwanderungspolitik der USA richtete, und irgendwann hatte es ihn nach Umwegen über Bali und Ibiza der Liebe wegen nach Linz verschlagen, wo er sein engagiertes Talkradio „Wahre Werte“ etabliert hatte. Vor einem halben Jahr hatte ihn sein Arzt vor einem drohenden Herzinfarkt gewarnt und deshalb hatte Giorgio Miller jetzt mit Ende sechzig plötzlich den Sport für sich entdeckt und es sich zur Gewohnheit gemacht, einmal täglich den Schlachthof zu umrunden, um wenigstens kurze Zeit frische Luft zu schnappen und sein Herz mit Bewegung zu trainieren.
    „Hallo, Braun, heute bist du aber früher hier“, sagte er, als Braun auftauchte, und klatschte mit ihm ab. Ächzend erhob er sich von dem wackeligen Stuhl, trank noch schnell sein Bier leer und stellte eine eisgekühlte Dose vor Braun auf den Tisch.
    „Trink dich in Stimmung, Braun, ich muss

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