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Alle sieben Wellen

Titel: Alle sieben Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Glattauer
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hintergangen, ich habe ihre private, intime Post gelesen. Ich habe dafür gebüßt. Ich könnte ihr nicht mehr in die Augen sehen, wüsste sie von meiner Spionage. Sie könnte mir nie wieder in die Augen sehen,wüsste sie, was ich gelesen habe. Sie würde sich und mich gleichermaßen dafür hassen. Bitte, Herr Leike, ersparen Sie uns das. Verschweigen Sie ihr diesen Brief. Und noch einmal: Ich bitte Sie!
    Und nun sende ich Ihnen das grauenvollste Schreiben, das ich jemals aufgesetzt habe. Hochachtungsvoll, Bernhard Rothner.

KAPITEL ACHT

 
    Drei Tage später
    Betreff: Emmi?
    Emmi?
    (Ich erwarte keine Antwort auf diese Frage. Ich will dir nur mitteilen, dass ich sie mir sechzig Sekunden pro Minute stelle.)
     
    Zwei Tage später
    Kein Betreff
    Vielleicht verachtest du mich für jedes Wort, das ich dir jemals geschrieben habe. Vielleicht hasst du mich für jeden Buchstaben, den ich dir jetzt noch sende. Aber ich kann nicht anders. Wie geht es dir, Emmi? Ich würde so gerne für dich da sein. Ich würde so gerne irgendetwas Sinnvolles für dich tun. Ich würde so gerne wissen, wie du denkst und fühlst. Ich würde so gerne mit dir mitdenken und mitfühlen. Ich würde dir so gerne die Hälfte von Allem abnehmen, so unangenehm es auch ist.
     
    Zwei Tage später
    Kein Betreff
    Soll ich dir nicht mehr schreiben?
     
    Einen Tag später
    Kein Betreff
    Was heißt das, Emmi? Heißt es:
    Du weißt selbst nicht, ob du willst, dass ich dir schreibe.
    Es ist dir egal, ob ich dir schreibe.
    Du willst definitiv nicht, dass ich dir schreibe.
    Du liest keine Mails mehr von mir.
     
    Drei Tage später
    Betreff: Nordwind
    Okay, Emmi, ich hab’s verstanden, ich schreibe dir nicht mehr.
    Im Falle (...) Nordwind (...) dann weißt du (...) immer.
    Immer, immer, immer, immer, immer!
    Alles Liebe. Dein Leo.
     
    Fünf Stunden später
    RE:
    Hallo Leo, schläfst du schon?
     
    Drei Minuten später
    AW:
    EMMI!!! DANKE!!!
    Wie geht es dir? Bitte verrate es mir! Ich denke an nichts anderes. Ich sollte einen Forschungsbericht fertigstellen, sitze seit Stunden vor dem Bildschirm, starre auf die Symbolleiste mit dem Briefzeichen und warte auf ein Wunder mit vier Buchstaben. Es ist eingetreten. Ich kann es noch gar nicht glauben. EMMI. Du bist wieder da!
     
    30 Sekunden später
    RE:
    Darf ich zu dir kommen?
     
    Eine Minute später
    AW:
    Wie bitte, Emmi? Habe ich mich verlesen? Du willst »zu mir« kommen? Zu mir nach Hause? Top 15? Warum? Wann?
     
    20 Sekunden später
    RE:
    Jetzt.
     
    50 Sekunden später
    AW:
    Liebe Emmi, ist das dein Ernst? Geht es dir schlecht? Willst du dich aussprechen? Natürlich kannst du kommen. Aber es ist zwei Uhr früh. Wollen wir uns nicht lieber morgen treffen? Da haben wir mehr Zeit und einen klareren Kopf. (Ich zumindest.)
     
    20 Sekunden später
    RE:
    Kann ich kommen, ja oder nein?
     
    Eine Minute später
    AW:
    Das klingt zwar bedrohlich, aber ja, klar, Emmi, du kannst kommen!
     
    30 Sekunden später
    RE:
    Hast du Whiskey oder muss ich mir einen mitnehmen?
     
    40 Sekunden später
    AW:
    Ich hab Whiskey. Die Flasche ist dreiviertel voll. Genügt dir das? Emmi, du willst mir nicht zufällig verraten, in welcher Stimmung du bist? Nur damit ich mich darauf einstellen kann.
     
    20 Sekunden später
    RE:
    Du wirst es rasch erkennen. Bis gleich!
     
    40 Sekunden später
    AW:
    Bis gleich!
     
    Am nächsten Abend
    Betreff: Tiefpunkt
    Liebe Emmi, ich glaube nicht, dass es dir heute besser geht, weder besser als gestern noch besser als mir. Die eigene Verletztheit nimmt dadurch nicht ab, dass man besessen ist, sie auf ihre möglichen Verursacher aufzuteilen. Wer heimzahlt, steht nachher selbst immer noch ärmer da. Dein stürmischer Auftritt, die Verleugnung deiner Schüchternheit, die Negierungdeiner Ängstlichkeit, dein »mitreißendes Verlangen«, dem ich mich – das hattest du wohl gewusst – nicht entziehen würde wollen und können, dein perfekt durchgezogener Plan, dein Auf-die-Spitze-Treiben und Fallenlassen, als wäre Intimität die wertloseste Sache der Welt, dein wohl kalkulierter Abgang, dein professionelles Verschwinden – das waren keine Vergeltungsmaßnahmen, das war eine einzige Verzweiflungsaktion. Deine Blicke danach sollten sagen: »Das war es doch, was du von Anfang an wolltest. Hier hast du es gehabt.« Nein, das wollte ich nicht, und du weißt es! Gleichzeitig so nah und so fern waren wir uns noch nie gewesen. Das war unser Tiefpunkt. Emmi, du kannst mich nicht täuschen. Du bist nicht die

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