Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Polizei. Wir könnten ja als Unfallzeugen gebraucht werden, dachten wir, aber als ich einem von den Polizisten meine Hilfe anbot, sagte der bloß: »Mach dich vom Acker.«
Dann eben nicht. Sollten die doch zusehen, wie sie ohne uns klarkamen.
In der Bäckerei neben dem neuen Sparladen in der Gutenbergstraße sollte ich Kaffee kaufen, ein Pfund Eduscho mild gemahlen, aber von wegen mild: Das Mahlen war so laut, daß man sich die Ohren zuhalten mußte.
Mit Volker fuhr ich zu den Fischteichen an der Straße zwischen Hillscheid und Vallendar. Dicht am Ufer schwammen Kaulquappen. Ich fischte welche raus und legte sie auf den Holzsteg. Dann mußte ich pissen, und als mir die Kaulquappen wieder einfielen, waren sie schon tot und vertrocknet.
Quäle nie ein Tier im Scherz.
Links von dem Weg ins Wambachtal waren Bäume gefällt worden. In den Kronen konnte man gut rumklettern, wie in einem Labyrinth. Da spielten Michel Gerlach und ich Danny Wilde und Lord Brett Sinclair. Einen Ast zur Seite biegen: »Darf ich Euer Sippschaft die Pforte aufpforten?«
»Ich bitte darum, denn sonst fliegt gleich ein Satz warmer Ohren durch die Luft.«
»Bitte nicht, Euer Durchlocht, sonst werdet Ihr das Gepökelte aus der Schnabeltasse lutschen!«
Michael Gerlach Lord Siegelverkleber nennen und sein Taschenmesser als Hosentaschenaxt bezeichnen. »Sehr wohl, Euer Merkwürden.«
Auf einem Stein saß eine Eidechse. Vielleicht war das eine von denen, die beim Fliehen den Schwanz abwarfen. Ich wollte sie mir schnappen, aber plötzlich war sie weg, von einer Sekunde auf die andere.
Als ich nachhause ging, machte ich wieder den Umweg über die Rudolf-Harbig-Straße, wurde von einem Platzregen überrascht und war bald naß bis auf die Haut. Der Regen rauschte, ich rannte, und dann sah ich eine Frau, die in der Haustür stand und winkte und mir zurief, daß ich reinkommen soll, mich unterstellen. Piroschkas Mutter war das. Neben ihr stand Piroschka. Die winkte auch.
Ich rief zurück, daß ich es nicht mehr weit hätte, und rannte weiter.
Im Badezimmer raufte ich mir die Haare und streckte meinem Spiegelbild die Zunge raus. Wenn Doofheit wehtäte! Da bietet sich die einmalige Chance, bei Piroschka zuhause darauf zu warten, daß der Regen aufhört, und mit Piroschka Monopoly zu spielen oder was weiß ich, und was macht Martin Schlosser? Galoppiert weiter, der Dämel. Hat sein Gehirn an der Garderobe abgegeben.
Renate arbeitete wieder in der Kaufhalle, wo sie kassieren mußte und die Wühltische aufräumen. Eine Frau, die da beim Klauen erwischt worden war, hatte versucht, durchs Klofenster zu entkommen.
In Jever konnte ich meiner Sammlung drei neue Pfauenfedern einverleiben. Außer Mama und mir war nur Wiebke mitgekommen. Renate wollte lieber in der Kaufhalle schuften, und Volker weilte mit Kasimirs an der Adria.
Wir fuhren zu einem Bauernhof bei Waddewarden, der einer alten Frau gehörte, einer Schulfreundin von Oma. Die Frau hatte drei Söhne, alles Hünen, die noch bei ihr wohnten. »Die haben Hände wie Klosettdeckel«, tuschelte Gustav mir zu.
Die Mutter von der Bauersfrau war schon fast hundert Jahre alt. Sie saß in der Küche auf einem Stuhl neben dem Ofen und sah so ähnlich aus wie des Teufels Großmutter auf dem einen Bild in Grimms Märchen, wo des Teufels Großmutter dem nackten Teufel die Haare entlaust.
Auf dem Bauernhof gab es Kälbchen, Kühe, Katzen, Schweine, Hühner und einen Heuboden. Beim Rumtoben sollte ich auf Forken achten im Heu. Mama war als Kind mal auf die Zinken einer Forke gesprungen und hatte den Stiel an die Stirn geknallt gekriegt.
Zum Tee gab es Weißbrot, das die Bauersfrau selbst gebacken hatte. Ich verschlang zwölf Schnitten mit Honig, und der eine von den Söhnen sagte: »De Jung hett awer ’n gesünn Aftiet.«
Nach dem, was Mama erzählte, hatte Papa in den fünfziger Jahren nach der Maloche im Pütt manchmal zwanzig Stullen verschrotet. Oder Pillen, was damals in Dortmund der Name für Stullen gewesen war.
In der Hörzu stand was über einen Jungen, der sich das Schienbein angestoßen und Knochenkrebs gekriegt hatte. Alles zerfressen, da hätten die Ärzte nichts mehr machen können, und der Junge sei qualvoll gestorben.
Ich befühlte meine Schienbeine, die ich mir schon oft irgendwo angestoßen hatte. Die Knochen waren uneben. Wenn ich Knochenkrebs hatte, dann im Endstadium.
Ich behielt das für mich, sonst hätte ich vielleicht den Rest meiner Tage im Krankenhaus verbringen dürfen.
Oma
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