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Alle Vögel fliegen hoch

Alle Vögel fliegen hoch

Titel: Alle Vögel fliegen hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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ebenfalls stark. Es tropfte auf meine Wange. Vielleicht hatte ich ihn an der Augenbraue erwischt. Er schlug mir mit dem Handrücken ins Gesicht. Ich sackte zusammen. Fast ein wenig andächtig.
    Wie es sich anfühlte, wenn es ernst war … Wenn es kein Training war, wenn ich ohne Safetys einstecken musste. Er zog mich wieder hoch und schleifte mich durch das Geschwirr der Tauben in den ersten Raum, wo er mich auf den Boden schleuderte. Er war völlig planlos. Irgendetwas war schiefgelaufen. Er wusste nicht, was er mit mir tun sollte. Das konnte eine Chance sein. Oder mein Untergang. Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass es das jetzt gewesen sein könnte. Dass er nur ein einziges Mal in die richtige Stelle zu stoßen brauchte. Und dann wäre ich weg. Wo ich noch so viel vorhatte. Im Sommer wollte ich nach Italien, und ein Motorrad wollte ich mir kaufen und … wer würde sich um Flipper kümmern?
    »Hör auf zu flennen! Das macht den auch nicht mehr lebendig. Außerdem war es ein Unfall. Ich hab dir deinen Tauberer nicht weggenommen, da ist der schon selber schuld.«
    Das war ein Geständnis! Es sah nicht gut aus für mich. Ich stand dem Mörder gegenüber. Andrea wüsste, was sie jetzt sagen müsste. Aber ich! Mir fiel nichts ein. Der Mann war
nicht einzuschätzen. Er reagierte im Affekt. Es war Wahnsinn, mich hier einzusperren. Das konnte er nicht geplant haben. Das brachte ihn doch erst recht in Gefahr.
    »Ob ich jetzt wegen einem in den Knast geh oder wegen zweien, das macht keinen Unterschied.«
    »Wenn es ein Unfall war, kommen Sie nicht ins Gefängnis«, gab ich mein Bestes. »Dann war es doch keine Absicht. Und das stimmt, das hat mir die Polizei auch erzählt, es war ein Unfall.«
    »Maul halten!«
    Ich zuckte zurück.
    »Du und die Polizei. Als hättest nicht selber genug Dreck am Stecken. Von wegen nix gewusst. Sich bei den Widmanns eingeschleimt! Wie hast dir das vorgestellt? Wie viel wolltest rausschlagen? Ich hab dich gewarnt. Aber nein, du wolltest ja nicht hören. Ich hab …«
    »Sie haben die Krähe auf mein Auto gespießt!«
    »Du musst ja immer weitermachen. Davon wird der auch nicht lebendig. Und jetzt tust so, als hättest ihn nicht mal gekannt. Scheißweiber.«
    »Ich habe ihn nicht gekannt, verdammt, ich habe ihn nicht gekannt!«, schrie ich, und endlich war ich mir sicher. Absolut sicher.
    »Hoit’s Mai!«, brüllte er zum ersten Mal mit seiner richtigen Stimme. Die passte gar nicht zu seiner Leibesfülle. Die war viel zu hoch. Hysterisch fast. Und da wusste ich, woher ich ihn kannte. Es war bei den Widmanns gewesen. Als ich erfuhr, dass ich das Haus nicht bekommen würde. Als Frau Widmann mir zum Abschied die Rohrnudel in die Hand gedrückt hatte. Da hatte ich ihn im Hof gesehen.

    »Was hätte ich davon, wenn ich das gewusst hätte und nicht zur Polizei gegangen wäre? Was hätte ich davon?«, schrie ich weiter.
    Grob riss er meinen Kopf an den Haaren nach hinten. Vor meinen Augen tanzten Sterne.
    »Wos rausschlagn. Aber ich hätt dem nix doa. Nur a bissal Angst gmacht. Er hot ned aufgehört. Er hot mia gedroht, dass er zur Bolizei gäht, zwengs die Fangkörb. Als ob’s nicht genug Habicht gebn tät. Provoziert hot er mi. Do is mir a Sicherung durchbrennt. Dass der dann wegrennt und do nauf, des is doch ned mei Problem. Ich wollt dem nix. Bloß Angst macha. Damit er uns in Ruah lasst. Der hot sich dauernd eigmischt. Kimmt von irgendwoher und reißt des Maul auf. I ko nix dafür, dass der auf den Hochsitz klettert und obi foit.«
    Warum beichtete er mir das alles? Und noch dazu mit seiner richtigen Stimme! Das konnte nur bedeuten, dass er mich töten wollte. Sonst würde er mir das doch nicht erzählen? Damit legte er ein Geständnis ab. Er benutzte mich dazu, sein Gewissen zu erleichtern – und dann? Den Tauben zum Fraß?
    »Ich will das alles gar nicht wissen«, sagte ich. »Ich will damit nichts zu tun haben. Können wir das nicht vergessen? «
    Er lachte. Es hörte sich an wie ein Schluckauf. Hysterisch und panisch, und das machte ihn noch gefährlicher.
    »Also, wo ist das Handy?«, flüsterte er. »Ich frag jetzt zum letzten Mal. Ich brauch deinen Hund nicht. Du hast auch Ohren. Okay, keinen Schwanz, aber dann schneid ich dir eben was anderes ab.«

    »Wenn ich doch nichts weiß!«, schrie ich und erschrak, weil das vielleicht ein Fehler war. Ich sollte vorgeben, ich wüsste etwas. Das Handy liegt in einem Schließfach, in meinem Kellerabteil, bei meiner Freundin in der Wohnung. Wir

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