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Alle Wege führen nach Rom

Alle Wege führen nach Rom

Titel: Alle Wege führen nach Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Seipolt
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gingen nicht so viele
mit.«
    »Dann bin ich beruhigt. Die Prozession kann nur
zum Dom oder nach Santa Croce führen. Von beiden Kirchen aus finde ich heim. Am
besten, wir schließen uns an.« Also gliederten sie sich in die Reihe ein. Die
Mitmarschierenden blickten ein wenig befremdet auf die beiden Ausländer; zwei
Halbwüchsige schnitten Grimassen. Annaberta grüßte freundlich nach allen Seiten
und bemühte sich dann um andächtige Stimmung. Ihr war recht wohl zumute. In
einer Prozession fühlt sich eine Klosterfrau halt doch heimischer als im
gähnenden Touristenhaufen. Und wie eifrig die Leute sangen! Schade, daß sie den
Text nicht verstand, es klang sehr begeistert. Und wie viele Männer sich
beteiligten! Das hätten die Leute daheim erleben sollen! Hier war eben noch
urwüchsiges Christentum, nicht nur alten Weibern reserviert. So lang war die
Prozession, daß sie vom Allerheiligsten und von den Priestern nichts sehen
konnten. Sie schritten am Ende des Zuges und die kantigen Schädel vor ihr
versperrten alle Aussicht nach vorn. Der Schritt wurde rascher, das Singen
lauter, wilder, fast ein Schreien. Plötzlich kam die Spitze der Prozession zum
Stehen. Ein Ruck durchlief die Reihen. Die hinteren drängten jedoch bald nach
vorn, unterbrachen ihr Singen und riefen ungestüm: »Avanti, fratelli, avanti!«
»Avanti, viva!«stimmte Annaberta begeistert ein und meinte, das bedeute so viel
wie »In Ewigkeit. Amen!« Ein Mann zu ihrer Rechten, mit Ruß und Öl beschmiert,
schlug ihr kräftig auf die Schulter: »Bravo, suora! Avanti! Per un mondo
migliore! Avanti!«
    Da, gelle Pfiffe, Sirenen heulten auf, alles rannte
vorwärts, rückwärts, stieß sich ineinander, übereinander, auseinander, schrie,
tobte, schwenkte die Hüte, ballte die Fäuste. Der Baron erbleichte.
    »Keine Angst, Herr Baron! Das ist nur die
südländische Frömmigkeit! Darüber habe ich im Bistumsblatt gelesen. Jetzt wird
gleich der Segen kommen!« Doch bevor Annaberta dazu kam, ihr Wissen aus dem
Bistumsblatt ausführlicher darzulegen, ertranken ihre Worte im Wutgeheul der
Masse; fluchend und tobend sprangen die Menschen zur Seite, flüchteten in die
Häuser, und ehe die entsetzte Annaberta sich besinnen konnte, rasten behelmte
Polizisten mit langen Schläuchen auf sie zu.
    »Wasserwerfer!« kreischte der Baron auf und wollte
die Schwester noch auf den rettenden Bürgersteig ziehen. Zu spät. Schon hatte
sie der wütende Wasserstrahl der Obrigkeit erfaßt und ließ sie nicht mehr los,
bis sie von der Haube bis zu den Sandalen (der Baron von der Glatze bis zu den
Knöcheln) in einen triefenden Pudel verwandelt war. Als die hitzigen Hüter der
Ordnung erkannten, was für friedfertige Passanten ihnen vor die Schläuche
geraten waren, drückten sie ihr Bedauern aus und erboten sich, den Signor und
die Suora im Polizeiauto ins Quartier zu fahren.
     
    Also schlichen der Signor und die Suora ins Auto.
    »Ich glaube, wir sind in eine kommunistische
Demonstration hineingeraten«, sagte der Baron betrübt.
    »Ich glaube das auch«, respondierte Annaberta.
    »Ich hätte nie gedacht, daß es in Florenz soviel
Kommunisten gibt. Die Stadt sieht so christlich aus.«
    »So christlich, Herr Baron.«
    »Doch jetzt erinnere ich mich: in ganz Italien
sind ein Drittel der Bevölkerung Kommunisten.«
    »Ein Drittel? Dann kann ja jeden Tag hier die
Revolution ausbrechen!«
    »Wohl möglich, Schwester. Erst kürzlich hat die
Regierung große Waffenlager entdeckt.«
    Das Polizeiauto überquerte den Arno.
    »In den Fluß könnte ich springen«, jammerte der
Baron. »Diese Blamage! Daß wir gar nichts gemerkt haben.«
    »Eine rote Fahne hatte ich gesehen. Doch sie glich
der Fahne unseres Jungfrauenvereins dermaßen, daß ich keinen Argwohn schöpfte,
ich Esel!« sagte Annaberta und schlug sich vor die Stirn.
    »Ich Esel!« stimmte der Baron zu. »Sie brauchen
sich nur selber Vorwürfe zu machen. Mir aber, liebe Schwester, droht eine
Dusche, im Vergleich zu welcher der Wasserwerfer ein zarter Sprühregen ist.«
    Der arme Kerl, sann Annaberta. Seine ganze
gewählte Redeweise wird ihn vor dem Zorn seiner Gattin nicht retten. Das also
sind die Leiden der Ehe!
    Die Touristen stauten sich neugierig am
Hoteleingang, als ein Polizeiauto vorfuhr und die beiden Demonstranten
»ausspie«, wie der Baron es ausdrückte. Es war übrigens sein letztes Wort an
diesem Abend; seine Gemahlin packte ihn sofort am nassen Kragen und schleifte
ihn unter fürchterlichem Schweigen ins

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