Allein mit dem Teufel: Roman (German Edition)
leuchtendem Lippenstift an, die auf dem Podium stand.
»Willkommen bei Cromwell«, sagte sie enthusiastisch. »Mein Name ist Stacey. Ich bin die Leiterin der Personalabteilung.« Ganz kurz verzog sich ihr fuchsienroter Mund zu etwas, das vage einem Lächeln ähnelte. »Bitte achten Sie darauf, dass Ihre Namensschilder während der ersten Wochen ständig gut sichtbar sind. Das hilft Ihnen beim gegenseitigen Kennenlernen, und es hilft Ihren neuen Kollegen, sich Ihre Namen zu merken. Bitte öffnen Sie jetzt Ihre Einführungsmappen!« Gehorsam schlugen wir die marineblauen Mappen auf dem Tisch vor uns auf und begannen, sie durchzublättern. »Sie finden darin Ihr persönliches Handbuch für Angestellte, das alle Regeln und Bestimmungen von Cromwell enthält. Es erläutert, was Sie tun und nicht tun sollen, beschreibt allgemeine ethische Dilemmas, die sich für Sie als neue Analysten möglicherweise ergeben, und wie Sie damit umgehen, und, was noch wichtiger ist, Sie erfahren darin, welche Gründe aus unserer Sicht eine Entlassung rechtfertigen. Schenken Sie den Ausführungen über elektronische Kommunikation größte Aufmerksamkeit. In E-Mails oder Chat-Nachrichten sollten Sie nichts schreiben, was Sie nicht auf der Titelseite des Wall Street Journal sehen wollen. Wenn Sie glauben, es könnte für die Firma oder Sie selbst peinlich wer den, schreiben Sie es nicht. Wenn Sie E-Mails erhalten, die unangebrachte Abbildungen oder Material enthalten, löschen Sie sie. Wenn Sie antworten, werden Sie dafür verantwortlich gemacht, mit den Firmenprinzipien unverträgliches Material verbreitet zu haben, was zu Ihrer Entlassung führen kann. Lesen Sie unbedingt das Handbuch! Ab jetzt wird von Ihnen erwartet, dass Sie den gesamten Inhalt zur Kenntnis genommen haben. Sollten Sie eine der Regeln übertreten, können Sie sich also nicht damit herausreden, nichts davon gewusst zu haben. Haben das alle verstanden?«
Wir saßen weiterhin schweigend da. Einige der eifrigen Analysten in der ersten Reihe nickten, aber diese halbherzige Reaktion reichte Stacey anscheinend nicht. Gestützt auf die Ellbogen beugte sie sich vor und fragte uns wieder, jetzt jedoch lauter: »Haben Sie verstanden?« Sie betonte jede Silbe und verzichtete dieses Mal auf das Lächeln.
Wir antworteten unisono: »Ja!«
Wo sind wir hier – im Kindergarten? , fragte ich mich. Kapiert, Stacey, wir gehören ganz dir. So schwer war es ja auch wieder nicht zu verstehen.
»Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, Ihre Einführungsmappe enthält die Namen und Telefonnummern der Abteilungsleiter und der entsprechenden Kontaktpersonen in der Personalabteilung. Sie wissen sicher, in welche Abteilung auf welcher Etage Sie müssen. Aus jeder Abteilung erwartet jemand Sie am Fahrstuhl und begleitet Sie. Davon abgesehen wünsche ich Ihnen einen großartigen Tag, und noch einmal, willkommen bei Cromwell Pierce! Sie gehören jetzt zu einer der angesehensten Firmen der Finanzwelt.«
Wir erhoben uns, und ich ging mit allen anderen zu den Fahrstühlen. Ich zählte sieben Frauen. Die Ivy Leaguers führten uns an und verhielten sich wie eine Gruppe Alphamädels, die ich aus der Junior Highschool kannte. Ich hatte die University of Virginia besucht, eine intellektuell minderwertige Universität in ihren Augen. Ich fühlte mich, ob gerechtfertigt oder nicht, wie eine Außenseiterin. Jedenfalls nicht gerade so, wie ich meinen ersten Tag beginnen wollte.
Die Hierarchie in den meisten Wall-Street-Handelshäusern war klar umrissen: In den ersten paar Jahren ist man Analyst und hat die Pflicht, so viel wie möglich zu lernen und dem Rest »des Teams« unverzüglich sein bestelltes Mittagessen aus der Lobby herbeizuschaffen. Als Nächstes wird man Associate, dann Vice President, dann Director, dann Managing Director, und von da an steht einem mit ziemlicher Sicherheit der Weg in den Aufsichtsrat oder dergleichen offen. Für mich spielte das keine Rolle. Ich musste einzig und allein wissen, dass ich die blutige Anfängerin war, blutiger ging es nicht, und deshalb für jeden zu arbeiten hatte. Ich schätzte, solange ich das nicht vergaß, würde alles gut gehen. Wenigstens hoffte ich das, denn nach allem, was ich gehört hatte, war es ganz schlecht, seinen Platz auf der Karriereleiter nicht zu kennen.
Ich war eine von zehn Analysten, die aus dem Fahrstuhl stiegen, als sich die Türen im elften Stock öffneten. Wir waren alle verschiedenen Ressorts, genannt »Desks«, in der Fixed-Income-Abteilung
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