Alleingang: Kriminalroman (German Edition)
Wänden zu wissen. Auch wenn es Offiziere der Bundeswehr waren.
Marie vermied es, die beiden anzuschauen. Sie schritt zwischen ihnen hindurch und schloss auf. Dann ließ sie die beiden ein. Sie wollte höflich sein. Die Männer sollten ihr nicht anmerken, wie durcheinander sie war. Höflichkeit war ein guter Schutz. Das hatte Marie, die Höflichkeit lange für überflüssig gehalten hatte, von Karl gelernt.
Nun standen die beiden im Flur und rührten sich nicht. Zwei lächerliche Gestalten, die nicht wussten, wohin mit ihren Händen. Hatten die in Berlin nicht jemand anderen schicken können? Einen Offizier, der das, was er zu tun hatte, auch verstand.
Marie flüchtete sich in die Küche. »Ich koche erst mal Tee«, rief sie und drehte das Gas an. Sie hoffte, dass die beiden einfach ins Wohnzimmer treten würden. Die Tür stand ja weit offen.
Marie ließ Wasser in den Kupferkessel laufen. Sie zählte die Sekunden. Normalerweise kam sie bis zwölf. Dann war der Kessel voll. Bei sechs dachte sie, es würde eine Ewigkeit dauern.
Die Besucher rührten sich nicht. Was waren das bloß für Hanswurste? Erst jagten sie ihr einen Schrecken ein, indem sie sie baten, den Jungen wegzuschicken. Dann standen sie verlegen in ihrem Flur rum. Endlich war der Kessel voll. Marie setzte den Deckel auf und stellte das Wasser auf die knarzende Gasflamme.
Marie hielt inne und horchte. Sie hörte die beiden miteinander flüstern.
Marie wurde wütend. Wie kleine Jungen benahmen sie sich. Sie stürzte in den Flur. »Was stehen Sie hier rum? Wollen Sie nicht eintreten?«
Sie drehten ihre Mützen in den Fingern. Wie Gebetsmühlen. Sollte Marie ihnen soufflieren, was sie zu sagen hatten?
»Frau Blau …« Der Hauptmann räusperte sich. »Es tut uns so leid.«
Der Hagere nickte bloß und zog die Nase hoch.
»Was denn?«, fragte Marie. Dabei wusste sie es bereits.
»Ihr Mann. Er ist bei einem Anschlag der Taliban ums Leben gekommen.«
3.
Marie duschte und zog sich um. Sie wählte das helle Kleid, das Karl ihr im letzten Sommer geschenkt hatte. Dann schminkte sie sich, was sie sehr selten tat, seit Karl in Afghanistan kämpfte.
Frau Hinrichsen schien die Veränderung, die Marie in der letzten Stunde genommen hatte, nicht wahrzunehmen. Sie bat die junge Nachbarin herein. Felix saß in der dunklen Stube auf dem Dielenboden und malte mit einem dicken Bleistift, wie ihn früher Krämer zum Anschreiben benutzten, große Buchstaben und fremde Zeichen in eine vergilbte Kladde. Seine Zungenspitze schaute zwischen den zusammengepressten Lippen heraus.
Felix schien ihr Eintreten nicht bemerkt zu haben. Er schaute jedenfalls nicht von der Kladde auf und malte weiter Buchstaben und Zeichen.
Auf dem Holztisch lag aufgeschlagen ein Buch, die Nickelbrille zeigte Marie, dass die Witwe Felix vorgelesen hatte. Das tat sie oft. Sie sagte, sie habe den Eindruck, dass sich Felix für die Sagen und Märchen der Ostsee interessierte. Marie bezweifelte das. Aber wenn die alte Frau ihm gerne vorlas, war Marie das recht. Sie wunderte sich nur, dass es Frau Hinrichsen nicht störte, dass Felix dabei auf dem Boden lag und malte.
»Er zeichnet das, was ich vorlese«, hatte sie einmal behauptet. Marie fand es bemerkenswert. Hatten die Zeichen, die der Junge malte, wirklich etwas mit den Ostseesagen zu tun, die Frau Hinrichsen ihm vorlas?
Marie ging in die Knie und strich ihrem Sohn über die Haare. Er war blond wie sein Vater. Obwohl das Blond des Kindes mit jedem Sommer, während dem es sich kurz aufhellte, dunkler zu werden schien. Karl hingegen behielt sein starkes, leuchtendes Blond bei, das ihm ein jungenhaftes, ja, naives Aussehen verlieh. Für einen Mann seines Alters war diese Haarfarbe nicht vorteilhaft, fand Marie.
»Wir müssen los, mein Schatz«, sagte Marie.
»Schon?«
»Ja. Komm! Wir gehen nach Hause.«
Der Junge stand widerwillig auf und ging zur Zimmertür.
»Hallo!«, sagte Marie hart und zeigte auf den dicken Bleistift und die Kladde.
»Ach, lassen Sie ihn!«, sagte Frau Hinrichsen. »Ich räum das schon weg.«
Marie stampfte unwillig auf. »Nein, das macht der junge Herr selbst!«
Felix beeilte sich, die Bleistifte und das Heft aufzusammeln.
In diesem Moment kamen Marie die Tränen.
»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte Frau Hinrichsen.
Marie rieb sich mit dem Ärmel des guten Kleides übers Gesicht. »Nein, ich bin nur etwas überreizt. Sie wissen ja: Wir Frauen haben das manchmal.«
Die Frau nickte, aber Marie sah ihr an, dass
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