Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
leicht zu durchschauen ist. Ich sehe schon, dass meine Bekanntschaft mit Ihnen eine recht heilsame Erfahrung sein wird, Miss Grey.“ Sie senkte den Blick, sich plötzlich der Intimität der Konversation bewusst, so ganz allein mit ihm in einem Raum. „Sie sind nicht nur eine gute Beobachterin, Sie haben anscheinend auch noch andere Gedanken im Kopf außer der Tatsache, dass Sie gerade ein Vermögen geerbt haben. Verraten Sie mir doch, wie Sie fünfzigtausend Pfund so leicht abtun können.“
„Aber das kann ich nicht!“ Ruckartig hob sie den Kopf. „Sie missverstehen mich, Mylord. Es ist nur so ein Schock für mich, dass es absolut unwirklich erscheint. Ich kann nicht darüber nachdenken, ohne vollkommen verwirrt zu werden, also habe ich meine Gedanken ein wenig schweifen lassen, um wieder klar denken zu können.“
„Dann sollten Sie besser ein Glas Sherry zu sich nehmen. Das wird Ihren Verstand ein wenig klären, und wir können uns über die Sache unterhalten. Sie haben sicher ein paar dringende Angelegenheiten, die nun sofort geregelt werden müssen.“ Er sah ihren zweifelnden Ausdruck, als er nach der Karaffe griff, die auf einem Tischchen neben seinem Sessel stand. „Was irritiert Sie so, Miss Grey? Der Gedanke, so früh am Tag Wein zu trinken oder meine Vermessenheit, mich an der Karaffe meiner Tante zu vergreifen? Falls es Ersteres sein sollte, sehen Sie es als Medizin gegen Ihren Schock an, bei Letzterem seien Sie versichert, dass ich mir keinerlei Freiheiten herausnehme, ohne die Erlaubnis meiner Tante eingeholt zu haben.“
Verärgert biss Talitha sich auf die Lippen. War sie so leicht zu durchschauen, konnte man jeden Gedanken an ihrem Gesicht ablesen? „Weder, noch, Mylord. Es ist ganz einfach so, dass ich nicht das Gefühl habe, ich wäre hier am richtigen Platz …“
„Wo sollten Sie denn sein, Miss Grey?“ Er reichte ihr ein Glas, bevor er seines in die Hand nahm. „Auf Ihr Glück und auf Ihre glückliche Rückkehr zu Ihrem angestammten Platz in der Gesellschaft.“
Talitha nahm einen vorsichtigen Schluck und stellte fest, dass der Geschmack ihr zusagte. Noch immer fühlte es sich unwirklich an, eine solche Unterhaltung mit einem echten Lord zu führen, vor allem mit diesem hier. Um nicht den Eindruck zu erwecken, sie wäre nur eine dumme Gans, erwiderte sie frei heraus: „Wenn ich wüsste, wo sich mein angestammter Platz befindet, würde ich gerne auf meine glückliche Rückkehr trinken, Mylord!“
„Ich wünschte, Sie würden mich Nick nennen.“
„Das steht vollkommen außer Frage, Lord Arndale!“
„Sie könnten mich als Cousin ehrenhalber adoptieren“, schlug er ernsthaft vor. „Miss Gower hat mich als ihren Neffen anerkannt, und da Sie ihre Erbin sind, macht uns das sicher zu Cousin und Cousine.“
Trotz ihrer Bemühungen, ernst zu bleiben, musste Talitha lachen. „Entschuldigung, aber das ist doch wirklich lächerlich, Mylord . Ich brauche keinen Cousin, sondern lediglich die Adresse einer Bank, die empfehlenswert ist, sowie den Namen eines respektablen Herrn, der sich meiner Geschäftsangelegenheiten annimmt. Ich bin sicher, Lady Parry wird mir freundlicherweise in beiden Punkten behilflich sein.“
In diesem Moment öffnete die Angesprochene die Tür und rauschte mit ihrer üblichen Tatkraft herein. Dankbar lächelte sie Nick an, als dieser aufstand, um ihr seinen Platz anzubieten.
„Wie ich gehofft hatte, seid ihr beide ja sehr gut ohne mich zurechtgekommen“, stellte sie fest und ließ sich nieder. Sie lächelte Talitha an. „Sei so gut, Nick, schenk mir bitte ein Glas Sherry ein und empfehle dich dann. Miss Grey und ich müssen Pläne schmieden.“
Er reichte ihr ein Glas und machte sich auf den Weg aus dem Zimmer, nachdem er kurz vor Talithas Stuhl stehen geblieben war. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Miss Grey. Bestimmt werde ich Sie in Zukunft öfter hier sehen.“ Lady Parry schien nichts Außergewöhnliches an seinem Tonfall zu bemerken, Talitha jedoch war sich nicht sicher, ob sie gerade ein Versprechen oder eine Drohung vernommen hatte.
5. KAPITEL
E inen Moment betrachtete Lady Parry schweigend Talitha, dann meinte sie: „Mein Neffe erwartet von mir, dass ich Ihnen gegenüber ein ganz bestimmtes Anliegen zur Sprache bringe, Miss Grey – Talitha, wenn ich Sie so nennen darf. Stimmt der Name so?“
„Ja, Mylady. Ein recht ungewöhnlicher Name, wie ich zugeben muss. Ich wurde
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