Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
froh, dass sie sich an dem letzten Hut, den ich für sie gearbeitet habe, noch hat erfreuen können. Er war durch und durch rosa, mit so viel gerüschten Seidenbändern, wie ich nur unter die Krempe habe schieben können, und einer großen Rose als Krönung des Ganzen.“
„Ich habe ihn gesehen“, versicherte Nick ihr. „Er lag auf ihrem Nachttisch, zur Schau gestellt für alle, die sie besucht haben …“ Er unterbrach sich kurz, dann fügte er fragend hinzu: „Besitzen Sie ein Taschentuch?“
„Tut mir leid.“ Talitha durchsuchte ihre Tasche und putzte sich die Nase. „Sie müssen mich für eine ausgemachte Heulsuse halten, ich weine ja im Grunde jedes Mal, wenn wir uns begegnen.“
„Das ist schon in Ordnung. Niemand kann verhindern, dass ihm die Tränen in die Augen schießen nach einem Stoß in die … äh, Mitte. Und zu weinen, wenn ein Testament verlesen wird, ist eine vollkommen natürliche Reaktion.“
Er hörte sich eher gleichgültig als mitfühlend an, und Talitha, die sich wegen seiner Geschichte über Miss Gowers Hut gerade ein wenig für ihn erwärmt hatte, runzelte die Stirn.
„Meine Tante hat Sie also tatsächlich überredet, in die Bruton Street zu ziehen?“, fragte er, als sie in die Oxford Street einbogen.
„Ja“, stimmte Talitha zu. Wegen der Kälte in seinem Tonfall kroch ihr die Röte wieder die Wangen hinauf. „Glauben Sie, dass das keine gute Idee ist?“
„Ich bin sicher, dass es für Sie sehr vorteilhaft sein wird.“
Bildete sie sich da etwas ein, oder hatte er das „Sie“ ein wenig zu sehr betont?
„Sie glauben, dass ich es nicht wert bin, von Ihrer Tante unterstützt zu werden?“, fragte sie daher und unterdrückte mit Mühe den Anflug von Ärger in ihrer Stimme. „Glauben Sie vielleicht, dass ich nicht die bin, für die ich mich ausgebe? Oder haben Sie vielleicht etwas gegen meine Beschäftigung bei Madame d’Aunay?“
Nick warf ihr einen kühlen Blick zu. „Ich weiß, dass Sie genau die sind, für die Sie sich ausgeben“, erwiderte er. „Ich habe es mir nämlich zur Aufgabe gemacht, das herauszufinden. Ich bin sicher, dass Ihre Anstellung als Hutmacherin als durchweg ehrenhaft zu bezeichnen ist.“
Die wütende Antwort, die Talitha auf den Lippen lag, blieb ungesagt. Natürlich musste er wissen, mit wem er es zu tun hatte, er war schließlich Treuhänder seiner Tante. Es war seine Pflicht, seine verwitwete Verwandte zu schützen. Wie sollte Lord Arndale sonst sicher sein, dass sie keine Abenteurerin war, die nur darauf wartete, Lady Parrys Güte auszunutzen, oder gar jemand, der den Haushalt in Verruf bringen würde?
Doch dann, als sie gerade über die Weymouth Street hinweg in die Upper Wimpole Street einbogen, blieb ihr vor Schreck fast das Herz stehen. Sie war genau so jemand! Ihr verwerfliches Geheimnis über Mr Harlands Atelier hatte sie für sich behalten, weil sie fürchtete, in Ungnade zu fallen und als amoralisch gebrandmarkt zu werden. Aber ein Geheimnis, das einer jungen Hutmacherin lediglich persönlich zur Schande gereichte, würde sich, wenn es unter dem Dach einer Dame der Gesellschaft ans Licht käme, zu einem regelrechten Skandal auswachsen.
Talitha wurde sich bewusst, dass Nick ihr eine Frage gestellt hatte. „Verzeihung, was haben Sie gesagt?“ Zitterte ihre Stimme?
„Ich habe gefragt, ob ich richtig gehe in der Annahme, dass es das Haus hier auf der linken Seite ist, das mit der grünen Vordertür?“
„Ja.“ Selbstverständlich kannte er die Adresse. Schließlich musste er sich mit ihren gesamten Lebensumständen und Kontakten befasst haben und wusste sicherlich alles über das bescheidene Logierhaus und seine Bewohner. Wusste er also auch über Mr Harland Bescheid? Sicher nicht, über solch skandalöses Treiben hätte er bestimmt ein Wort verloren.
Der Earl zügelte die Pferde, drehte sich halb in seinem Sitz und sah sie an. „Geht es Ihnen gut, Miss Grey?“
„Ja, ja, sicher, Mylord.“ Eine lange Minute ließ er seinen Blick auf ihr ruhen. Herausfordernd blickte Talitha zurück, halb in der Erwartung, einen kalten, inquisitorischen Blick in seinen Augen zu entdecken, doch alles, was sie dort sah, war Besorgnis und eine Wärme, die sie vollkommen durcheinanderbrachte. Die Ereignisse des Tages hatten ihre Sinne und Wahrnehmungen verwirrt: Jetzt erst nahm sie ihn wieder als Mann wahr, seine verstörende physische Präsenz, gepaart mit einer undurchschaubaren
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