Allen, Louise - Ballsaison in London (H218)
Moment der Gedanke gekommen ist, wie kompromittierend diese Angelegenheit für sie ist oder welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.“
Auf Händen und Knien sammelte Talitha die verstreuten Blätter des Briefes wieder ein, als Lady Parry sagte: „Sicherlich ist es für das arme Kind vollkommen unvorstellbar, eine solch gute Partie zu machen.“
„So ganz aus der Luft gegriffen ist es nun auch wieder nicht“, widersprach Nick ruhig. „Sie kommt aus absolut anständigen Verhältnissen, und ihr Vermögen ist mehr als groß genug.“
„Natürlich, und sie ist so ein liebes Kind. Aber nicht das, was man allgemein von einem Earl of Arnsdale erwartet.“
Wie gebannt blieb Talitha in der Hocke sitzen und wartete auf Nicks Antwort.
„Es gibt Dinge, die man tun muss, Tante Kate. Mir bleibt wirklich keine andere Wahl.“
Mit zitternden Knien stand Talitha auf. Bis zu diesem Moment war ihr nicht klar gewesen, dass sie nichts anderes wollte als Nicholas Stangate. Für immer und ewig. Ja, sie hatte sich selbst eingestanden, dass sie ihn liebte, ihn begehrte, ihn bewunderte. Das Wort Heirat war ihr dabei jedoch nie in den Sinn gekommen, obgleich dieser Mann zu ihrem täglichen Leben gehörte, hatte sie daran keinen Gedanken verschwendet.
„Du Idiotin“, flüsterte sie sich selber zu und zog sich ins Vestibül zurück. Ihr Verstand war in Aufruhr. Wie sonst hättest du ihn haben können? Seine Mätresse werden? Warum sollte er sich mit dir abgeben, wenn die Welt voller kunstfertiger Kurtisanen ist? Die Antwort gab ihr Hoffnung. Er fühlt sich zu dir hingezogen. Er küsst dich, er nimmt dich mit in sein Bett. Er riskiert etwas für dich.
Talitha erreichte die Treppe. Gnädigerweise war weder Rainbird noch einer der Lakaien zu sehen. Ihr klarer Menschenverstand trat ihre Träume energisch mit Füßen. Natürlich hat er dich geküsst, natürlich hat er dich mit ins Bett genommen. Er ist schließlich ein Mann. Du hast nackt vor ihm gestanden. Was hätte er denn tun sollen? Und er ist ein Gentleman. Natürlich beschützt er dich. Er hätte auch Zenna oder Millie beschützt, hätte er sie in dieser Situation gefunden.
Die Tür zum Schreibzimmer öffnete sich und Lady Parry erschien. Talitha wirbelte herum und verbarg sich gerade noch rechtzeitig unter der Treppe, um nicht gesehen zu werden. Sobald sich die Schritte ihrer Gönnerin entfernt hatten, kam sie hervor, allerdings ohne sich vorher umzusehen.
„Tallie. Kann ich kurz mit dir sprechen?“
Es war Nick.
18. KAPITEL
T allie“, wiederholte Nick. „Wenn deine Kopfschmerzen nicht allzu stark sind, würde ich gerne mit dir sprechen.“
„Natürlich“, erwiderte Talitha gefasst. Es fiel ihr leicht, Ruhe vorzutäuschen. Sie hatte das Gefühl, gerade von einer Klippe ins Leere getreten zu sein: Bis unten war es ein langer Weg, die Zeit würde vergehen, bis sie unten auftraf. In der Zwischenzeit gab es wenig von Bedeutung.
Nick hielt ihr die Tür auf und sie betrat erneut das Schreibzimmer, ließ sich anmutig auf einen der Stühle sinken und wartete. Blicklos starrte sie auf Zenobias Brief in ihrem Schoß.
„Ich hoffe, du hast dich eine Weile ausruhen können, seit du heute Morgen herkamst“, begann er höflich. „Ich weiß, es war schwer, Tante Kate alles berichten zu müssen, und das so kurz, nachdem es passierte. Aber ich denke, es war das Beste.“
„Danke, ja, ich fühle mich einigermaßen wiederhergestellt und du hast sicher Recht.“ Tallie holte tief Luft. „Mir scheint, ich habe nie zum Ausdruck bringen können, wie tief ich mich in deiner Schuld fühle für alles, was du für mich getan hast – bevor du wusstest, wer ich bin, und auch danach.“
Sie sah ihn nicht an, so konnte sie auch nicht erkennen, ob die schnelle Bewegung von ihrem Stuhl weg aus Überraschung geschah oder weil er peinlich berührt war.
„Danke. Aber ich bin nicht auf Dankbarkeit aus dafür, dass ich mich so verhalten habe, wie es jeder echte Gentleman unter diesen Umständen getan hätte.“ Seine Stimme klang so emotionslos wie seine Worte. Tallie kniff die Seiten des Briefes zu winzigen, perfekten Falten.
„Ich bezweifle, dass ein echter Gentleman eine solche Schar an Beobachtern und Wächtern einsetzen würde, und ich glaube auch nicht, dass viele Männer den Mut besäßen, so wie du auf diesen Sims zu steigen.“ Es gelang ihr irgendwie, ihre Stimme genauso ruhig zu halten wie er die seine.
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