Aller Heiligen Fluch
so jung. Und so hübsch.» Er mustert sie anzüglich.
«Ich weiß alles», sagt Judy in heller Verzweiflung. «Von dem Drogenschmuggel und überhaupt. Ich weiß, dass Sie die Drogen von den armen Pferden schmuggeln lassen. Packesel im wahrsten Sinne des Wortes, was? Sie zwingen sie, die Drogen zu schlucken, und manchmal werden sie davon furchtbar krank, wie die beiden Pferde, die ich gesehen habe. Fancy und das andere. Aber das interessiert Sie nicht, richtig? Für Sie sind das keine Lebewesen. Nur Mittel zum Zweck.»
«Sehr wortgewandt», sagt Harris, und seine Stimme klingt, als würde er grinsen. «Aber wer soll Ihnen denn dieses Märchen glauben? Armes kleines Polizistenmädchen, das hört sich doch an, als hätten Sie selbst ein bisschen von Randolphs Wunderpulver genascht.»
«Ich habe bereits einen Bericht geschrieben», schwindelt Judy. «Und ich habe Beweise. An den Drogen wurde Stroh gefunden, das lässt sich zum Stall zurückverfolgen. Und ich habe ein Kondom im Pferdemist gesehen. Auch das lässt sich zurückverfolgen.»
Doch Judy hat die Bedeutung des kleinen Plastiksäckchens in den Pferdeäpfeln, in die sich Cloughs Schuh verirrt hat, ja in dem Moment gar nicht erkannt. Das kam erst im Nachhinein. Die Pferde mussten Drogen schlucken, die in Kondome verpackt waren. Wie hat Clough das noch gleich genannt? Ü-Eier. Jedes Mal wieder ’ne Überraschung.
«Das ist doch Mist», sagt Harris. «Oder soll ich lieber sagen: Pferdemist? Sie haben nichts gegen mich in der Hand.»
Judy stürzt sich auf ihn, will ihm die Pistole aus der Hand schlagen. Doch Len Harris ist zu flink für sie, er weicht ihr aus, und sie fällt der Länge nach in den Matsch. Im nächsten Moment spürt sie den kalten Lauf der Pistole, der sich an ihre Wange drückt. Das war’s. Sie schließt die Augen und fragt sich, warum sie jetzt nicht an Darren denkt, an Cathbad oder an ihre Eltern, sondern an ihr altes Pony Ranger. Doch dann folgt kein Knall, kein Nirwana und auch keine triumphale Auffahrt zum Himmel (sie weiß selbst nicht recht, was davon sie erwartet hat); stattdessen wird Len Harris von einer Naturgewalt umgerissen, die plötzlich aus der Dunkelheit auftaucht. Judy bleibt am Boden hocken und wagt nicht, sich zu rühren.
«Verdammt, Johnson», brüllt die Naturgewalt. «Lauf!»
Es ist Clough.
Ärzte und Schwestern umringen Nelsons Bett. Michelle wird nach hinten gedrängt. Sie sieht nur noch weiße Kittel. Jemand bringt eine Maschine herein, die mit Nelsons Brust verkabelt wird.
«Wir verlieren ihn!», ruft einer der Ärzte.
Michelle steht an die Wand gedrückt. Sie fühlt sich, als hätte ihr Herz ihren Körper verlassen.
«Was machst du denn hier?», fragt Nelson.
«Ich versuche, dich zu retten», sagt Cathbad.
Die schwarzen Wellen schlagen an den Strand. Der Himmel ist voll von schwarzen Vögeln.
«Man nennt das Murmuration», sagt Cathbad.
«Was nennt man so?»
«Wenn die Stare sich sammeln. Das ist Murmuration.»
«Was ist mit mir passiert?», fragt Nelson.
«Ich weiß es nicht. Interessant, oder?»
Die Wellen brechen sich weiter an den Steinen. Die unerbittlichen Gezeiten.
Clough zerrt Judy auf die Füße, und sie rennen blindlings in die Dunkelheit. Judy hat ihre Taschenlampe verloren und keine Ahnung, wohin sie laufen. Doch Clough scheint es zu wissen, und das genügt ihr für den Moment. Sie läuft ihm nach, der Wind schlägt ihr ins Gesicht. Irgendwo in der Nähe hört sie Len Harris umhertaumeln. Bitte, lieber Gott, lass uns das Tor vor ihm erreichen. Gott muss wohl ein offenes Ohr haben, denn gleich darauf taucht das gewaltige Tor vor ihnen auf. Judy hört die Torflügel rasseln, als Clough daran rüttelt.
«Scheiße», ruft er. «Scheiße!»
«Was denn?»
«Es ist abgeschlossen.»
Wie kann es abgeschlossen sein?, denkt Judy. Doch Clough packt sie schon wieder am Arm. «Los, komm!» Sie drehen sich um und laufen in den Park hinein, dorthin, wo die Bäume sind und die Mauern des alten Anwesens. Len Harris ist nicht zu sehen. Sie rennen weiter, zwischen scheinbar endlosen Baumreihen hindurch.
Romilly sieht dem Pastor dabei zu, wie er das Tier vorsichtig aus dem Kunststoffbehälter hebt. Früher haben sie Terry den «Tierarzt» genannt, weil er ein geradezu enzyklopädisches Wissen über Tiere (und Drogen) besitzt, doch dann ist die Gruppe übereingekommen, dass Tierärzte normalen Ärzten zwar bei weitem vorzuziehen, aber dennoch nicht frei von aller Schuld am Tierreich sind.
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