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Aller Heiligen Fluch

Aller Heiligen Fluch

Titel: Aller Heiligen Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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Mann, der mit an die Lippen gelegtem Finger drohend zum Schweigen mahnt, und eine Frau mit einem flatternden Schleier um den Kopf, die ein Buch in der Hand hält.
    «Wer sind die beiden?», möchte Ruth wissen.
    «Der heilige Benedikt und Mutter Juliana. Juliana von Norwich. Eine weitere heilige Frau des vierzehnten Jahrhunderts.»
    Der Name kommt Ruth irgendwie bekannt vor. «Wer war sie noch gleich?»
    «Sie war eine Anachoretin.»
    «Eine was?»
    «Eine Art Einsiedlerin. Sie lebte allein in einer Zelle gleich neben der Kirche St. Julian. Dort verbrachte sie ihr ganzes Leben im Gebet, und die Menschen suchten Rat bei ihr. Mit etwa dreißig Jahren erkrankte sie schwer und erlebte eine Reihe göttlicher Erscheinungen. Sie hat darüber in einem Buch mit dem Titel
Offenbarungen von göttlicher Liebe
berichtet. Das erste auf Englisch geschriebene Buch, das von einer Frau verfasst wurde.»
    «Irgendwie kommt mir vor, dass ich das noch nicht auf meiner Leseliste hatte.»
    «Es stehen einige wunderbare Sachen drin.
Alles wird gut sein, und alles wird gut sein, und jegliches Ding, es wird gut sein.
Juliana war unfassbar optimistisch, wenn man bedenkt, in was für Zeiten sie gelebt hat.»
    «Glauben Sie, sie kannte Bischof Augustine?»
    «Das habe ich mich auch gefragt. Zeitlich käme es gerade so hin, Prior Hugh erwähnt Juliana allerdings kaum.»
    «Vielleicht hat Augustine sich ja als Mann ausgegeben, weil ihre einzige andere Option darin bestanden hätte, Anachoretin zu werden und sich von der Welt abzukehren.»
    «Möglich.» Janet betrachtet die Skulptur. «Aber Julianas Name und ihre Schriften leben bis heute weiter. Das ist mehr, als die meisten Bischöfe von sich behaupten können.»
    Sie nehmen den Besuchereingang: zeitgenössisches Rauchglas, das in das uralte Gemäuer eingepasst wurde. Die Automatiktür öffnet sich lautlos, als sie näher kommen, und in der Vorhalle brummen und blinken interaktive Bildschirme. Erstaunt registriert Ruth, dass draußen Arbeiter damit beschäftigt sind, ein Gerüst aufzubauen.
    «Dreharbeiten», erläutert Janet. «Es spielen viele Filme hier in der Kathedrale.»
    «Das ist schon alles sehr kommerziell», bemerkt Ruth missbilligend. Sie mag zwar Atheistin sein, bevorzugt aber trotzdem traditionelle Kirchen.
    «Warten Sie, bis wir drinnen sind.»
    Ruth schenkt dem Schild, das zu Spenden animiert, keine Beachtung und folgt Janet in die Kathedrale. Zunächst ist sie nur überwältigt von all der Höhe und Weite. Die Kathedrale erinnert noch an das Kloster, zu dem sie einst gehörte: Sie ist lang und schmal, mit einer hohen gotischen Decke und steinernen Säulen, die wie riesige Bäume in die Höhe streben. Es ist kalt und riecht nach Kerzenwachs. Der Steinboden ist uneben, und Ruth bemerkt erschrocken, dass sie über Grabplatten geht. «Unser geliebter … Hier ruht … Pfarrer dieser Gemeinde … Geliebter Vater …» Ein Satz aus der Zeit, als sie noch in die Kirche ging, kommt ihr in den Sinn:
O Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist eitel
.
    Der Hochaltar befindet sich ganz hinten in der Kirche, von Säulen umgeben, doch außen führt ein Weg herum, wie ein überdachter Kreuzgang. Ruth geht hinter Janet an Grabmälern und Statuen vorbei und an zahllosen Kerzenständern, an denen das Wachs glänzt. Hier liegen Kreuzfahrer in steinerner Pracht, Blut rinnt an grausigen Kreuzen herab, und das eine oder andere moderne Kunstwerk nimmt sich dazwischen klein und jämmerlich aus. Man braucht Jahrhunderte, um wahre Würde zu erlangen.
    «Und da ist Augustine», sagt Janet.
    Die Statue des Bischofs befindet sich in einem dunkleren Winkel und auf einem so hohen Sockel, dass Ruth den Kopf in den Nacken legen muss. Dort steht eine Gestalt in wallenden Gewändern mit einer Mitra auf dem Kopf und einem Krummstab in der Hand. Sie unterscheidet sich kaum von zahllosen anderen Statuen dieser Art und erinnert Ruth daran, wie sie einmal mit Shona in Rom war: die Kühle der Kirchen an den heißen Tagen, die zahllosen steinernen Konterfeis von Heiligen, deren Namen und Taten längst vergessen sind.
    «Sehen Sie sich die Füße an», sagt Janet.
    Ruth gehorcht. Trotz des Messgewands ist der Bischof barfuß, und unter seinem großen Zeh lugt der Kopf einer Schlange hervor.
    «Das ist aber nicht gerade eine Riesenschlange», bemerkt Ruth. «Für mich sieht sie eher nach einer Ringelnatter aus.»
    «Er hat sie unterworfen», sagt Janet. «Das Böse wurde besiegt. Er war ein großer Heiliger.»
    Mit

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