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Aller Heiligen Fluch

Aller Heiligen Fluch

Titel: Aller Heiligen Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elly Griffiths
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Teds Warnungen und den toten Neil Topham hat sie darüber fast vergessen. Doch dann bringt Janet sie auf den Boden der Tatsachen zurück, indem sie unvermittelt fragt: «Warum interessiert Sie das alles eigentlich? Mal abgesehen von der Sache mit dem Geschlecht.»
    Die Sache mit dem Geschlecht, sinniert Ruth. So kann man das natürlich auch formulieren. Laut sagt sie: «Es gab noch ein paar andere Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit dem Sarg. Die Leiche war in Seidenstoff gewickelt, der mit einer Schicht Bienenwachs imprägniert ist. Außerdem haben wir die Überreste eines bischöflichen Krummstabs gefunden und einen einzelnen Lederschuh, sehr sorgfältig gearbeitet. Weshalb sollte man einen Bischof mit einem einzelnen Schuh beisetzen?»
    Janet mustert sie einen Moment lang nachdenklich, dann sagt sie: «Da gibt es zwei Legenden, auf die das eventuell zurückgehen könnte. Die erste erinnert ein wenig an den heiligen Nikolaus – der Weihnachtsmann, Sie wissen schon. Er war ebenfalls Bischof. In der Türkei. Jedenfalls geht es in dieser Geschichte um mittellose Kinder, deren Schuhe Bischof Augustine mit Geld gefüllt hat. Prior Hugh schreibt, die Kinder hätten ihre Schuhe vor die Tür gestellt, und der Bischof sei nachts durchs Dorf gegangen und habe Münzen in den Schuhen verteilt.»
    «Und die zweite Geschichte?»
    «Nun, die dreht sich um den Teufel. Sie wissen ja noch, dass die Statue Bischof Augustine dabei zeigt, wie er auf eine Schlange tritt? In einem von Hughs Berichten hat sich der Teufel in Gestalt einer Schlange durch Augustines Schuh gefressen, und er zertrat ihn mit dem bloßen Fuß. Fortan ging Augustine häufig barfuß. Womöglich eine Form der Selbstkasteiung, vor allem, wenn man bedenkt, in was für einem Zustand die Wege damals waren. An der Statue befindet sich eine Inschrift: ‹Auf Löwen und Ottern wirst du gehen, und treten auf junge Löwen und Drachen.›»
    «Ein Psalm», sagt Ruth. «‹Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.›»
    Janet sieht sie überrascht an.
    «Meine Eltern sind Wiedererweckte Christen», erklärt Ruth. «Ich kenne die Bibel ziemlich gut.»
    «Sind Sie selber auch gläubig?»
    Ruth schüttelt den Kopf. «Einige Menschen, die ich sehr schätze, glauben zwar an Gott, aber ich nicht. Wie sieht es mit Ihnen aus?»
    Janet lacht. «Ich bin katholisch aufgewachsen. Sogar polnisch katholisch, das ist Katholizismus im Quadrat. Ich bin natürlich Historikerin und habe gern Beweise, aber … Ich weiß auch nicht. Ich glaube, es gibt durchaus Dinge, die sich nicht beweisen lassen.»
    Früher hätte Ruth gegen eine solche Aussage vehement Einspruch erhoben, doch die letzten paar Jahre haben sie in ihrer Überzeugung erschüttert. In all ihren Überzeugungen.
    Janet steht auf. «Kommen Sie, wir schauen uns den alten Knaben mal an. Oder das alte Mädchen, je nachdem.»
     
    Als Judy den Rennstall erreicht, findet sie das Tor weit offen. Nelson ist nirgends zu sehen. Sie durchquert den Torbogen und sieht sich gleich darauf einem großen rotbraunen Pferd gegenüber, das am Ende einer langen Longe scheut. Judy weicht ihm großräumig aus. Ein Stallmädchen versucht, den Gaul in seine Box zu bekommen, doch der will sich das nicht bieten lassen, wirft den Kopf zurück und dreht sich mit klappernden Hufen fuchsteufelswild im Kreis. Judy beobachtet, wie zwei Stallburschen hinzukommen, um das Pferd zu beruhigen. «Ruhig, ruhig …», hört sie den einen sagen. Die junge Frau ist den Tränen nahe. «Ich schaff’s nicht …», jammert sie. «Jetzt führ dich mal nicht auf wie ein Mädchen», sagt einer der Männer zu ihr, anscheinend ohne jede Ironie. Das Pferd stampft und schnaubt unterdessen weiter.
    Judy geht bis zum Büro, wo ein älterer Mann am Telefon sitzt. Er hält mit einer Hand den Hörer zu und sieht fragend zu ihr hoch.
    «Detective Sergeant Judy Johnson», stellt sich Judy vor.
    «Len Harris, Stallmeister. Können Sie kurz warten? Ich gebe gerade die Nennungen durch.»
    Judy nickt und macht es sich mit der
Racing Post
gemütlich. Im Gegensatz zu Nelson fühlt sie sich in einer solchen Umgebung überhaupt nicht fremd. Ihr Vater ist Buchmacher, und sie stammt aus einer Familie irischer Pferdefanatiker. Als Kind ist sie viel geritten und hat sogar einmal eine Laufbahn als Jockey in Erwägung gezogen. Was hat sie eigentlich davon abgehalten, fragt sie sich jetzt. Das erwachende Interesse an Jungs oder ihre sprießenden

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