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Allerseelen

Allerseelen

Titel: Allerseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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Buddhas geformt, voll, gewölbt. Leiden, für das es keine Worte gab, und zugleich Frieden, äußerste Ruhe, das Unmögliche. »Das alles ist passiert, während du im Koma lagst. Ganz Spanien ist auf die Straße gegangen, Millionen Menschen in allen Städten. So etwas hat es hier noch nie gegeben. Riesige Demonstrationen, ich hab’s auf Video aufgenommen, du wirst sehen.«
    »Ich hab’s gehört.«
    »Von wem?«
    »Während ich hier war.«
    »Aber das ist unmöglich.«
    Er widersprach nicht, das hatte keinen Sinn. Aber er hatte es gehört. Schritte von Tausenden, Hunderttausenden von Menschen, ein Rauschen, Rufen, wogende Chöre von Stimmen, rhythmisch, skandiert. Natürlich war das nicht möglich, aber er hatte es gehört, das wußte er genau. Besser nichts mehr darüber sagen. Er sah noch einmal auf das Foto.
    »Wie haben sie es gemacht?«
    »Genickschuß. Das ist ihre Spezialität.«
    »Aber er schläft.«
    Wo kam dieser Friede her? Wie konnten sich die Mörder je ohne Angst dieses Foto ansehen? Gab es so etwas wie die Rache eines Toten? Doch dieser Mann wollte längst schon keine Rache mehr nehmen. Wie ein Tier abgeschlachtet, und dennoch war keine Angst und kein Schmerz auf diesem Gesicht zu erkennen, nur diese unermeßliche Trauer und diese Ruhe, die niemand erlangen konnte. Dieser Mann war in der Sekunde seines Todes bereits irgendwo anders gewesen, und vielleicht hatte er, Arthur Daane, eine Ahnung, wo das war. Hell war es dort, man konnte hören, was Lebende nicht hören durften. Das konnte man niemandem erklären, und er würde es auch nicht versuchen. Es war verboten, so fühlte es sich an, durfte nicht sein. Es gehörte sich nicht, daß man zurückkehrte, man war infiziert mit einem unaussprechlichen Verlangen. Man gehörte nicht mehr dorthin und nicht mehr hierher. Nein, dafür gab es keine Worte, nur diese unsinnigen Tränen, die er nicht in der Gewalt hatte, die immer weiter aus ihm strömten und nicht versiegen wollten. Die Schwester kam herein und wischte sie weg.
    »Das geht jetzt nicht«, sagte sie, »Sie haben Besuch.«
    »Kommen Sie mit hinaus?«
    Das galt Daniel.
    »Vier ist wirklich zuviel. Würden Sie den Leuten bitte sagen, daß sie wirklich nur eine Viertelstunde bleiben dürfen? Ich kann kein Englisch. Und sie dürfen ihn nicht aufregen, wie Sie eben, mit diesem Foto. Sie sehen ja, was dann passiert.«
    Arthur lauschte den Worten an der Tür, der Stille, in der sie gehört wurden. Drei Könige, dachte er, als die Berliner Freunde ins Zimmer traten.
    Arno, Zenobia, Victor.
    Sie sagten nichts, schauten auf die Schläuche, auf den Verband um seinen Kopf, an den Händen. Zenobia berührte ganz sanft seine Schulter, Arno wollte etwas sagen und tat es nicht, zog dann umständlich ein Päckchen hervor und legte es neben ihn.
    »Eine Wurst aus der Pfalz. Von Herrn Schultze. Er sagte, er hätte dir schon eine geschickt, aber er traut der spanischen Post nicht.«
    Arthur spürte, wie er wieder gegen die Tränen kämpfen mußte, doch was dann geschah, war noch viel schwerer zu ertragen. Victor, der sich etwas abseits von den anderen gehalten hatte, ging in eine Ecke des Zimmers, wo Arthur ihn gut sehen konnte, ordnete seinen Seidenschal mit den Polkatupfen, zog sich das Jackett zurecht, verbeugte sich, schien zu zählen und begann dann zu steppen, wobei er Arthur unverwandt ansah. Das Ticken der Eisen auf dem Steinfußboden, die Füße, die er nicht sehen konnte, die verhaltenen Armbewegungen, die Stille, in der dies alles geschah, es hatte vielleicht noch nicht mal eine Minute gedauert, bevor die Schwester ins Zimmer stob und dem ein Ende machte, doch Arthur wußte, daß er das nie mehr vergessen würde, es war ein zeremonieller Tanz gewesen, eine Beschwörung, das Klickerdiklack hatte so etwas wie eine Aufforderung bedeutet, er sollte aufstehen, Schritte tun, seine Füße sollten ihn von hier forttragen, was passiert war, sollte er zurücklassen, diese sprachlose Botschaft war deutlicher gewesen, als es irgendwelche Worte hätten sein können, jemand, Victor, hatte ihn ins Leben zurückgetanzt, und er hatte es verstanden, es würde noch sehr lange dauern, doch er befand sich schon auf dem Weg. Er würde von neuem lernen zu gehen, sein Kopf würde immer wieder aufs neue aus dem Verband gewickelt werden. Wieder mußte die Schwester ihm die Tränen abwischen. Klickerdiklack, Victors Lackschuhe. Er hatte nicht gewußt, daß Victor das konnte.
    Arthur bedeutete der Schwester mit einer Geste, es tue ihm

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