Alles auf Anfang Marie - Roman

telefonierte den gesamten Weg bis zu seinem Auto, und ich dachte, er hätte auch Chinesisch sprechen können, so wenig verstand ich von dem, was er da redete. Aber eins war mir klar geworden: Ich würde mit diesem Mann überall hingehen, auch wenn es ein umweltgeschädigtes Regenloch war. Immerhin war er auch extra für mich zu dieser Einschulung gekommen. Das war zwar längst nicht so weit und so aufwändig, stand aber für unsere Beziehung. Und darum ging es.
    Wir fuhren nach Hause und beschlossen, uns noch einwenig im Garten in die Sonne zu setzen. »Möchtest du ein Glas Wein?«, fragte er mich.
    »Hör mal, die Zeiger sind noch nicht so weit fortgeschritten«, wandte ich ein.
    »Na und? Heute ist ein Feiertag«, sagte er. »Und da haben wir was Besseres verdient als diesen faden Pizzeria-Lambrusco.« Mit dem Besseren meinte er den halbtrockenen Silvaner, den er jetzt öffnete.
    Ich ließ mich mit Wohlgefallen auf meinem Gartenstuhl nieder. Packen konnte ich auch, wenn die Sonne weg war. »Und wie geht es dir jetzt mit Hannes? Ich hatte den Eindruck, dass ihr euch ganz gut verstanden habt.«
    »Ach ja, so übel ist er ja nicht«, sagte Henning und streckte die Beine von sich. »Wenn ich ehrlich bin, war ich am Anfang ein bisschen eifersüchtig, als du mir von ihm erzählt hast. Aber jetzt weiß ich ja, dass ich dazu keinen Grund habe.«
    »Dazu hat es nie Grund gegeben«, betonte ich.
    »Ich meine nicht, dass ich dir nicht vertraut hätte«, sagte er. »Es ging mir mehr um ihn. Könnte ja sein, dass er versucht, mir eins auszuwischen, indem er sich an meine Frau ranmacht. Aber jetzt ist mir klar, dass das völlig außer Frage steht.«
    Etwas an seiner Formulierung machte mich stutzig. »Was meinst du damit?«
    Er stellte sein Glas ab und beugte sich zu mir vor. »Ich meine damit, dass es doch ziemlich eindeutig ist, dass Hannes sich nicht für Frauen interessiert, jedenfalls nicht so.«
    Fast hätte ich mich verschluckt. »Willst du damit sagen, dass er schwul ist?«
    »Na klar«, sagte Henning. »Wusstest du das nicht? Als Mann merkt man so was.«
    »Tatsächlich?«, fragte ich verblüfft. »Vielleicht sollteich mal Christoph fragen, ob er das auch gespürt hat.« Ich hatte nämlich gerade gesehen, dass er auch wieder zurück war und in der Küche herumkramte.
    »Vergiss es«, sagte Henning und schloss träge die Augen. »Der merkt im Moment nichts.«
    »Ach ja«, seufzte ich. »Diese Andrea ist aber auch eine Nette, was? Zu blöd, dass er schon mit Jana   …«
    Henning öffnete die Augen wieder. »Marie, misch dich da bloß nicht ein.«
    »Das hatte ich nicht vor«, sagte ich ein wenig beleidigt.
    Er griff nach seinem Glas und nahm einen Schluck. »Und wegen China.«
    »Ja?«
    »Da gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht.«
    »Oje.«
    »Die gute ist: Das Chongqing-Projekt ist geplatzt. Dr.   Sondermann hat nicht unterschrieben, weil diese Schlitzaugen ihn über den Tisch ziehen wollten.«
    »Ach ja?«
    »Die schlechte ist, dass damit das ganze Chinaprojekt keineswegs vom Tisch ist. Augenblicklich ist die Rede von Shenzen. Könnte aber auch Shanghai werden.«
    Ich ließ mir einen Schluck Silvaner auf der Zunge zergehen. Shenzen. Shanghai. Ich betrachtete den Mann, der neben mir in der Sonne döste und mit diesen Städtenamen um sich warf, als handelte es sich um Tagesausflüge ins Hochsauerland. Eigentlich war es egal. Zusammen würden wir es schon schaffen. Das wäre doch gelacht.

Informationen zum Buch
    Nachdem auch ihr Sohn Christoph ausgezogen ist, fällt Marie Overbeck in ein schwarzes Loch. Was soll sie, bisher Nur-Hausfrau, nun mit ihrem Leben anfangen? Die Aussicht auf Golf und Kaffeeklatsch mit ihren Freundinnen ist der tatkräftigen Mittfünfzigerin ein Graus, und so sucht sie nach neuen Aufgaben. Die findet sie in Gestalt des fünfjährigen Kevin und seiner Familie. Gutmeinend und energisch beginnt sie, den total verlotterten Haushalt umzukrempeln. Sie bringt die drei Kinder auf Trab und versucht, die dauerfernsehende, schwangere Mutter aus ihrer Lethargie zu holen. Ein Engagement mit ungeahnten Folgen   …

Informationen zur Autorin
    Ursula Schröder
, geboren 1957, studierte Englisch und Geschichte in Bonn. Sie veröffentlichte Kurzgeschichten, Sachtexte sowie vier erfolgreiche Frauenromane bei dtv . Seit 2000 arbeitet sie als P R-Beraterin in ihrer eigenen Text & Ideenwerkstatt. Sie ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Mehr unter: www.ursulaschroeder.de