Alles auf Anfang Marie - Roman
örtlichen Projekte unterstützen.«
»Mach das doch«, stimmte Henning ihm zu. »Das ist wirklich kein Problem. Du nimmst ein paar Kinder in den Arm, Bernhard überreicht den Scheck, der Reporter macht ein Foto, und die ganze Geschichte ist erledigt.«
Zu diesem Zeitpunkt dachte ich das auch, deswegen sagte ich zu Bernhards Erleichterung zu, gerade noch rechtzeitig, bevor auch an unserem Tisch die Teller mit dem Herrenmenü gereicht wurden. Ich bekam auch eins. Heute verwöhnte uns der Koch mit Geschnetzeltem auf einer großen Portion Spätzle, und abgesehen von der Menge sah ich keinen Grund, warum man so was nicht auch servieren konnte, wenn Damen mit dabei waren.
Gut, dass ich mich auf diese Weise noch gestärkt hatte, bevor Freund Büdenweis mit seinem Beitrag begann. Bei einem Diavortrag über Schmetterlinge erwartet man inerster Linie ein paar hübsche Fotos mit bunten Flattertierchen, aber so einfach war das heute nicht. Wie der Referent von Anfang an klarmachte, lag ihm nämlich daran, das Publikum zunächst über die Kategorisierung dieser Insekten zu informieren, von denen es in Gesamteuropa über zehntausend Arten gibt. Bevor er überhaupt den Projektor in Betrieb nahm, hatte er die wichtigsten Unterarten schon in einer Geschwindigkeit aufgezählt, die mich davon abhielt, mir das merken zu wollen.
Ich muss wohl etwas erschrocken geguckt haben, denn Knut lehnte sich beruhigend zu mir herüber. »Keine Sorge!«, raunte er mir zu. »Er hat nur vier Diamagazine bei sich. Er kann uns also maximal vierhundert Arten zeigen.«
Ich wusste nicht, ob ich selbst das durchstehen könnte, zumal gleich das erste Foto nicht etwa einen netten Tagfalter zeigte, sondern eine fette Raupe in Nahaufnahme. »Das«, verkündete Herr Büdenweis (nach dem Schock, den mir dieses Foto versetzt hatte, konnte ich ihn nicht mehr als Freund bezeichnen), »ist die Raupe des Kleinen Weinschwärmers.«
Das erregte immerhin Heiterkeit an mehreren Tischen. Eine vorlaute Stimme behauptete: »Und wir dachten, das wäre unser Präsident.« Das erntete sofort Widerspruch. »Auf keinen Fall«, sagte jemand anders, »der Präsident ist ohne Zweifel ein Großer Weinschwärmer.« Und jeder, der sich schon mal mit Bernhard auf einen Vergleich von kalifornischem Zinfandel mit südafrikanischem Cabernet Sauvignon eingelassen hat, kann das bestätigen.
Der Referent schien nicht sehr erbaut von dieser Art Unterbrechung. Er rächte sich, indem er uns nun mit einer Vielzahl von Bildern bombardierte und dazu die kuriosesten Namen aufzählte. Ich erinnere mich zum Beispiel an das Rotkragen-Flechtenbärchen, zu dessenFamilie aber auch Zimtbär und Blutbär gehören. Thomas Gottschalk und sein Werbesponsor wären begeistert gewesen. Die aufdringliche Frage: »Und was ist mit dem Stachelbär?«, überhörte Büdenweis geflissentlich. Stattdessen wandte er sich der Gruppe der Sackträger zu, worauf jemand meinte: »Vielleicht sollte die Dame jetzt doch rausgehen!«
Das hätte ich sogar ganz gern getan, denn so langsam begannen mich die vielen Schmetterlinge und ihre Raupen zu ermüden. Dass gerade erst das erste Diamagazin abgearbeitet war, machte mir nicht viel Hoffnung auf ein baldiges Ende. Mit großer Geste wechselte Herr Büdenweis das Magazin und verkündete: »Nun kommen wir zu meiner Lieblingsgruppe – den Spannern.«
»Ferkel!«, zischte jemand so leise, dass ich es gerade noch hören konnte. Die Herren am Tisch des Zischers freuten sich. »Wenn das so ist, dann soll er mal die anderen Dias einlegen!«, fand einer, und sein Nachbar ergänzte: »Kommen jetzt die Puppen, an die wir gedacht hatten?«
Ich weiß nicht, ob es eher Humorlosigkeit oder lange Cluberfahrung war, die ihn davon abhielt, auf diese Zwischenrufe zu reagieren, aber der Referent setzte seinen Vortrag unbeirrt fort. Wir erfuhren zu unserem Erstaunen, dass man Schwefelgelbe Haarbüschelspanner nicht mit den Goldgelben Magerrasen-Zwergspannern verwechseln sollte und dass sie zu den tagaktiven Nachtfaltern gehörten. Was es nicht so alles gibt! Und was den Freunden dazu nicht alles einfiel! Herr Büdenweis nannte Dickleibspanner (»Davon haben wir im Club genug«) und Jungfernkinder (»Ach, kommt das auch bei Schmetterlingen vor?«), den Zahntrost-Kapselspanner (»Gibt es den auch auf Krankenschein?«) und den hellgrauen Lappenspanner (»Nach dem muss ich mal unsere Putzfraufragen«). Die Einwürfe dienten zwar nicht dazu, die Vortragsdauer zu verkürzen, machten aber
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