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Alles auf Anfang Marie - Roman

Alles auf Anfang Marie - Roman

Titel: Alles auf Anfang Marie - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Schroeder
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wirklich fesselte. Ich meine, wie viele Geschichten über vom Schicksal gebeutelte Frauen imausgehenden Mittelalter muss man gelesen haben? Mein Stapel mit ungelesenen Büchern enthielt noch zwei weitere von dieser Sorte, außerdem einige Krimis über hochbegabte und deshalb besonders perverse Serienmörder und natürlich diesen Vampirroman, den Lotta mir ans Herz gelegt hatte.
    Stattdessen griff ich zu einem Block und versuchte mal alles aufzuschreiben, was ich realistischerweise tun könnte. Ich war ja erst zweiundfünfzig, da müssen andere Leute noch über zehn Jahre arbeiten, bevor sie sich zur Ruhe setzen können   … Ob ich es auch noch mal damit versuchen sollte? Etwas unsicher schrieb ich also als Erstes auf das Blatt: »Job suchen«. Aber als was? Ganz früher   – tatsächlich in einem anderen Jahrhundert   – hatte ich mal als Rechtsanwaltsgehilfin gearbeitet. Aber abgesehen davon, dass mir das schon damals wenig Freude gemacht hatte, würde ich mit meinem völlig veralteten Know-how vermutlich keine entsprechende Stelle finden. Und wenn ich mir vorstellte, mich Hennings Clubfreund Klaus-Günther, dem größten Schwaller Deutschlands, als Mitarbeiterin anzudienen, dann hatte ich schon gar keine Lust mehr. Aber so schnell kann man ja die Flinte nicht ins Korn werfen. Also schrieb ich erst mal als Unterpunkt auf mein Blatt: »Beratung Arbeitsamt«. Vielleicht hatten die ja eine Idee, dafür sind sie schließlich da, oder etwa nicht?
    Mein nächster Gedanke zu diesem Punkt war: Vielleicht könnte ich irgendwo berufsfremd arbeiten. Die Frage war, was für Fähigkeiten habe ich? Immerhin bin ich seit über fünfundzwanzig Jahren Familienmanagerin, wie man heute zu einer Hausfrau und Mutter sagt, und da hat man schon einiges gelernt. Zum Beispiel putzen, aber dazu hatte ich absolut keine Lust. Und Henning würde auch niemals zustimmen, dass ich einerseits FrauKopp einmal die Woche zur Grundreinigung unseres Hauses beschäftigte und dann bei anderen Leuten putzen ging. Oder kochen, aber auch das war eine Tätigkeit, die ich nicht unbedingt gegen Bezahlung ausüben wollte. Waschen und bügeln? Einkaufen? Mir fiel wieder unsere modebewusste Tochter Lotta ein. Solange sie noch bei uns gelebt hatte, waren regelmäßige Shoppingtouren ein Teil unseres Lebens gewesen, und ich bildete mir ein, ein ganz gutes Auge dafür zu haben, was jemandem steht und was nicht. Also schrieb ich ein bisschen kleiner »Verkäuferin« auf mein Blatt. Dass ich mich dafür nicht unbedingt bei Aldi bewerben würde, wusste ich auch ohne es schriftlich zu fixieren. Shoppingberaterin würde mir auch gefallen, aber das wurde man sicher in meinem Alter nicht mehr   … und an meinem Wohnort schon gar nicht.
    Dann dachte ich darüber nach, ob es unbedingt ein bezahlter Job sein müsste. Ein paar der Gattinnen von Hennings Clubfreunden zum Beispiel arbeiteten als Grüne Damen im Krankenhaus, und eine etwas entferntere Bekannte war ehrenamtlich in einer Stadtbücherei tätig, wo sie Kindern vorlas und Ähnliches. Ich schrieb mal erst ganz allgemein »Ehrenamt« auf meine Liste und setzte darunter die Bereiche, die mir dazu einfielen: Krankenhaus, Altenheim, Kirchengemeinde. Nichts, was ich auf den ersten Blick prickelnd fand. Aber dafür war ja so ein strukturierender Ansatz da   – erst mal sammeln, dann weitersehen.
    Ich wollte gerade als nächsten Punkt den Bereich »Kreatives« dazuschreiben, als ich in der Küche ein Geräusch hörte   – mein Handy hatte eine SMS empfangen. Sie war von Christoph, wie ich direkt gehofft hatte, und er hatte sich auf die beiden Worte »Unfallfrei angekommen« beschränkt. Nun könnte ich diese lakonischeNachricht sehr gut verstehen, wenn sie von jemandem wie mir käme, weil ich mich mit dem SM S-Schreiben schon sehr quäle, aber weil ich wusste, wie gewandt mein Sohn oft lange Nachrichten schrieb, war ich etwas enttäuscht ob dieser Einsilbigkeit. Aber so würde das jetzt sein, dachte ich. Das leere Nest. Ich hatte es gewusst und war trotzdem nicht darauf vorbereitet.
    Mit einer gewissen Aggressivität im Bauch ging ich schnurstracks in das Zimmer meines Sohnes, um dort mal richtig Ordnung zu schaffen. Er würde es kaum wiedererkennen, wenn er in den Semesterferien nach Hause kam. Aber das geschah ihm nur recht.

2
    Wie geplant warf sich Henning am nächsten Abend in den frisch aus der Reinigung geholten dunkelgrauen Anzug. Nun ist das beileibe nicht der einzige Anzug, den er hat, aber aus

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