Zeit der Finsternis
Prolog Tamara
Fünf Jahre waren vergangen. Eine Zeit, in der ich pures Glück erfahren durfte. Fünf Jahre, die ich mit Julian an meiner Seite um die Welt gereist war. Neben Kanada, Deutschland und Frankreich lebten wir auch fast zwei Jahre in Südamerika. Nur die Vereinigten Staaten blieben weiterhin tabu. Denn, obwohl wir vorweisen konnten, dass Julian sich radikal geändert hatte, blieben Benjamin und Andrew misstrauisch.
Mittlerweile beherrschte ich mehrere Fremdsprachen. Wenn wir eine Weile in einem Land lebten, begann ich irgendwann automatisch dessen Sprache zu sprechen.
Ich hatte so viel gesehen in den letzten Jahren, die Wüste von Marokko, die Regenwälder im Amazonas, den Etna auf Sizilien, um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Immer wenn wir eines Landes müde wurden, zogen wir einfach weiter. Es war kein Problem, denn Geld hatten wir im Überfluss und Tiere konnte man überall auf der Welt jagen.
Und schließlich hatte Julian eine - na ja, sagen wir mal - ungewöhnliche Idee.
"Was hältst du davon, den Mount Everest raufzuklettern?" Seine Smaragdaugen sprühten Funken vor Eifer, während er aufsprang und anmutig durch unsere Suite ans Fenster schritt. Er war ständig auf der Suche nach einer neuen Herausforderung.
Wir wohnten in einem Hotel in Mendoza (einer Stadt in Argentinien), saßen vor dem Laptop und klickten uns durch die verschiedensten Internetseiten, um unser nächstes Reiseziel auszuwählen.
"Bitte was?!" Ich legte nachdenklich meine Stirn in Falten, denn ich war mir nicht sicher ob er scherzte oder es tatsächlich ernst meinte.
"Ja, doch! Stell dir mal vor, wie mühsam es für die Menschen ist dort rauf zu gelangen - für uns wäre das ein Klacks! Überleg doch mal, was man von da oben für einen Ausblick haben muss! Dem Himmel so nah..." Seine Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung und langsam dämmerte mir, dass ich aus der Sache wohl nicht rauskam.
"Hmm...na ja, also gut. Wenn du unbedingt willst..." Ich kam gar nicht dazu, meinen Satz zu beenden, denn Julian drückte mir einen stürmischen Kuss auf den Mund. Ich befreite mich lachend aus seiner Umarmung. Er strahlte mich an. "Ich buche sofort zwei Flüge nach Kathmandu."
Vom
Kathmandu International Airport
folgte ein Anschlussflug nach Lukla. Wie ich später erfahren würde, einer der gefährlichsten Flughäfen überhaupt. Von Lukla wäre es für uns nur noch ein
Katzensprung
wie Julian mir mit Feuereifer versicherte.
***
So kam es, dass ich mich vier Tage später auf dem Gipfel des höchsten Bergs der Welt wiederfand. Mit nichts, außer einem Rucksack voll Flaschen, gefüllt mit Rinderblut (Argentinisches Rind ist nicht zu verachten) und blickte auf die verschneiten Gipfel des Himalaya Gebirges. Der scharfe, eisige Wind fuhr in mein Haar und wirbelte es in mein Gesicht. Ich konnte die Kälte spüren, wie sie sich durch meine Kleidung fraß. Doch mein zirkulierendes Vampirblut sorgte dafür, dass mein Körper immer gleichmäßig warm blieb. So war es auch nicht nötig, sich mit Spezialkleidung auszurüsten, wofür wir von anderen Bergsteigern äußerst ungläubige Blicke ernteten. Wir hatten ihnen natürlich sofort die Erinnerung daran geraubt, uns jemals begegnet zu sein.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Julian von hinten an mich herantrat. "Na, was habe ich dir gesagt? Es ist einfach unbeschreiblich schön", flüsterte er in mein Ohr und ich konnte seinen warmen Atem an meinem Hals spüren. Ich drehte mich um, blickte in seine strahlenden Augen, die mich liebevoll betrachteten und nickte. "Atemberaubend schön", flüsterte ich ebenfalls und legte meinen Kopf an seine Schulter.
Wir blieben noch eine Weile so stehen und genossen das einzigartige Panorama, ehe wir uns wieder auf den Weg nach unten machten.
Während wir auf dem Rückweg von einem Felsvorsprung zum anderen sprangen, musste ich plötzlich an meine Schwester Caroline denken. Wir hatten uns lange nicht gesehen, weil sie zusammen mit Dorian in Philadelphia lebte. Nach ihrer Rückkehr aus Italien, vor fünf Jahren, hatte sie Max und Valentina mitteilen wollen, dass ich nicht zurückkommen würde. Als Dorian ihr die Tür öffnete, war es geschehen, jenes Wunder das wohl allen unserer Art einmal in unserem unendlichen Dasein widerfährt.
Es fühlt sich an, als ob tausende Volt durch den Körper jagen. Man wird unfähig, sich zu bewegen und wenn das Gefühl mit einem leichten Kribbeln wieder abflaut, ist man sich sicher, denjenigen gefunden zu haben, der
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