Alles Azzurro: Unter deutschen Campern in Italien (German Edition)
VL steht, VM, VR und so weiter. Vorne links, vorne Mitte, vorne rechts. Im Prinzip kein Problem. Wäre da nicht die Frage der Perspektive. »Sag mal, wenn dein Vater vorne links auf die Stange schreibt, meint er dann mit dem Rücken oder mit Blick zum Wohnwagen?«
»Keine Ahnung. Macht das einen Unterschied?«
»Das weiß ich doch nicht. Wer ist denn hier der Camper?«
»Ich sehe den Wagen doch auch zum ersten Mal«, meckert Lena zurück.
Ich krame mein Handy aus der Tasche, um meinen Schwiegervater anzurufen. Das ist vielleicht ein bisschen peinlich, aber wir müssen eh noch Bescheid geben, dass wir gut angekommen sind. Dann kann ich das kleine Verständnisproblem in einem Nebensatz unterschmuggeln.
Mein Handy sagt: kein Netz.
»Gibst du mir mal eben dein Handy? Ich hab hier irgendwie keinen Empfang. Ich ruf jetzt deinen Vater an.«
»Hier gibt’s keinen Empfang. Du kannst es vorne in der Kurve am Ende der Straße versuchen, das ist der einzige Ort, an dem man ein Signal hat.« Das »manchmal«, das sie leise vor sich hin murmelt, habe ich dennoch nicht überhört.
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«
Vielleicht war Lena genau deshalb in den Tagen vor unserer Abreise mit ihrem Handy schier verwachsen. Manchmal telefonierte sie auf ihrem Blackberry und dem iPhone parallel, was ich im Sinne der Geschäftigkeit äußerst sexy fand. Sie arbeitet seit einigen Jahren in einer Fernsehproduktionsfirma und verhandelte, noch während sie unsere Taschen packte, mit irgendwelchen TV-Redakteuren, denen sie zwei Showformate verkaufen wollte.
Das eine sollte eine Quizshow mit Prominenten sein, bei der die Kandidaten für jede falsch beantwortete Frage eine zweistöckige Sahnetorte ins Gesicht geschleudert bekommen würden. Fand ich nett, aber das andere war mein absolutes Lieblingskonzept. Sie nannte es »Ich will ein Kind von dir«, eine Art Castingshow nach Vorbild des »Bachelor«, nur dass es nicht ums Heiraten geht. Eine junge Frau, die zwar einen Kinderwunsch hat, aber blöderweise keinen passenden Mann, würde diesen aus einem Dutzend Kandidaten wählen. Ich fand ja, »DSDS 2.0« wäre auch ein hübscher Titel für die Sendung – »Deutschland sucht den Samenspender«.
Aber wie dem auch sei. Wenn ich Lena richtig verstanden habe, gehen die Verhandlungen erst nach unserem Urlaub weiter. Mir schwante, wieso.
Jedenfalls laufe ich jetzt den Teerweg vor bis zur Kurve, dabei halte ich das Handy vor mir ausgestreckt wie die Arbeiter von Fukushima ihren Geigerzähler. Es ist Mittagszeit; Familien sitzen neben ihren qualmenden Grills und betrachten mich mitleidig. Die Assoziationskette ist recht simpel: Kreidebleiche Haut und versucht zu telefonieren – haha, das muss ein Neuer sein!
Nach einer halben Stunde gebe ich’s auf. Als ich zurück zu unserem Platz komme, hat Lena die Stangen ordentlich sortiert und aufgeschichtet. »Mir ist das jetzt egal«, sage ich, »links oder rechts – kann doch nicht so wichtig sein. Die sind eh alle gleich groß.«
Das Zusammenstecken ist noch recht einfach, und als ein einigermaßen stabiles Gerippe vor dem Wohnwagen steht, betrachte ich stolz mein Werk. Lena holt die Zeltplanen. Die sind zwar inzwischen tatsächlich getrocknet, stinken aber immer noch nach Verwesung. Die Planen einzuziehen, ist ein gruseliges Gefummel. Während ich immer wieder vor mich hin fluche, ermahnt mich Lena immer wieder zur Geduld. Mit einem Mal rumst es. Eine der Stangen hat sich verabschiedet, und nun wankt und schwankt das halb verkleidete Gerippe wie ein Fischerkahn bei Windstärke acht. Ich springe nach vorne links – oder war das doch vorne rechts? – und versuche mit aller Macht, den Einsturz zu verhindern. Vergeblich. Schon im nächsten Moment klappt meine Konstruktion an beiden Enden zusammen wie das Bierdeckelhäuschen eines Stammtisch-Architekten. Lena schreit auf und will in Deckung gehen, wird dann aber von einem scharfkantigen Metallstück einer umfallenden Stange am Kopf getroffen. »Scheiße, du Idiot!« Vor Zorn wird sie knallrot im Gesicht, fast so rot wie der tiefe Cut, der sich über ihre Stirn zieht. Und aus dem es blutet wie unterm Chirurgenmesser.
Das Geschepper hat mittlerweile auch unsere sogenannten Nachbarn alarmiert, die von links und rechts zusammengelaufen kommen. Es mag der Thrill eines Unglücks sein und natürlich auch ernsthaft empfundenes Mitleid. Knapp ein Dutzend Leute versammelt sich jenseits der Hecke. Mir ist nicht entgangen, dass sie schon seit einer Weile
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