Alles Boese mir vergib
entgegen.“
„Das kann ich nicht machen.“
„Du musst. Sonst kann ich dir nicht mehr helfen.“
„Was zum Teufel ist denn da drin?“ Ich wich einen Schritt zurück. Setzte mich in Bewegung, damit wir in der Nähe der Bäckerei nicht zu viel Aufmerksamkeit erregten.
„Ich besorge dir das Geld. Aber ich werde verdammt noch mal nichts nach Deutschland schmuggeln.“
„Doch. Es ist zu deinem eigenen Besten. Wenn dieser Koffer nicht heute Abend in Hamburg ist, bekommst du noch viel größere Probleme. Ich meine es ernst. Tu es dir selbst zuliebe.“
Das Ganze war total absurd. Ich stand mit einer schweren Sporttasche in der Hand da und hatte eine solche Muffe, dass ich schon halb auf dem Weg nach Hamburg war. Ich lief in den Kiosk und kaufte mir ein Buch von Stephen King, anschließend am Schalter eine Fahrkarte. Das Geld reichte nicht für eine Rückfahrt. Dann setzte ich mich mit der Tasche zwischen den Beinen auf eine Bank. Es war eine nagelneue Sporttasche ohne besondere Kennzeichen.
Fünf Stunden im Zug. Das Buch hatte ich innerhalb von vier Stunden gelesen. Ab dann war ich mit meinen Gedanken allein. Nichts erschien mir mehr wichtig. Alles bewegte sich in die gleiche, graue Richtung. Im stockenden Verkehr in Richtung Tod. Versuchte man vorher abzufahren, wurde man gewarnt. „Du weißt nicht, wo dieser Weg hinführt!“ Unterwegs konnte man eine Pause einlegen und die Landschaft genießen. Auf der Raststätte irgendeinen Drecksfraß zu sich nehmen und weiterfahren. Man lächelte und redete miteinander. Startete das Auto und fuhr ein Stück. Bekam Kinder. Machte eine neue Pause. Schnitt die Gartenhecke. Brach erneut auf, auf dem Weg ins dritte Lebensalter und mit freier Sicht auf den Abgrund. Ringsumher standen verlassene Autowracks, über die niemand sprach. Es waren goldene Zeiten für Rettungshelfer. Tätowierer, die den Leuten Lebenskrisen in die Haut ritzten, Psychologen, die einen wieder „auf den richtigen Weg“ bringen wollten, Paartherapeuten, die Eheleuten halfen, einander in der Enge der Fahrgastzelle auszuhalten, jetzt, wo die Kinder ihren Führerschein machten und sich eigene Autos zulegten. Und wenn sich die Krise ernsthaft ausweitete, baute man einfach eine neue Fahrspur.
Ich hatte noch nie auf dem Rücksitz stillhalten können. Und hier saß ich jetzt also. Ich hatte eine Abfahrt gefunden. Sie führte im Leerlauf nach unten, und ich ertappte mich selbst dabei, voller Neid auf die Hauptstraße zurückzublicken. Ich hätte noch etwas Geduld haben und eine andere Ausfahrt nehmen sollen. Oder mir einen Soulmate suchen, der mich auf meiner Fahrt begleitete.
In Hamburg stieg ich aus dem Zug aus und ging zur Rolltreppe. Stellte mich daneben. Ein Typ in Shorts, T-Shirt und mit Sonnenbrille – um zehn Uhr abends – stellte sich neben mich.
„I can take it now“, sagte er mit deutschem Akzent. Ich ging. Er nahm die Tasche und entfernte sich. Ich verließ den Bahnhof und lief stadtauswärts. Vielleicht drei Stunden lang. Ich fand eine Raststätte mit Lastwagen, hielt den Daumen und ein Schild mit der Aufschrift Richtung Padborg hoch. Es war kurz nach Mitternacht.
„Willst du mit?“, fragte ein dürrer Fahrer mit Mütze und Holzfällerhemd.
Ich sprang in seinen Lkw. Einen Riesen-Volvo.
„Ich habe Spielzeug geladen, das ich in Greve abliefern muss. Aber du willst nur bis Padborg?“, fragte er mit Raucherstimme.
„Bis Kopenhagen.“
„Hast du kein Gepäck?“
„Hat mir in Hamburg jemand geklaut“, antwortete ich.
„Oh je. Die sind so was von schnell. Blöde Sache, was?“
„Ja.“
„Wenn du müde bist, kannst du hinten schlafen.“ Hinter den Sitzen lag eine Matratze.
„Ist das echt okay?“
„Klar. Leg dich nur hin.“
Ich kroch nach hinten auf die Matratze. Zwischen seine verschwitzten Truckerlaken. Am Fußende war ein kleiner Fernseher montiert, und es lagen mindestens fünfzig Pornofilme herum. Ich beeilte mich, die Augen zu schließen und einzuschlafen.
Er weckte mich in Greve. „Die Autobahn ist da oben“, sagte er.
„Danke fürs Mitnehmen.“
„Keine Ursache. Jederzeit wieder.“
Inzwischen war es früher Morgen, aber immer noch ziemlich dunkel. Wir standen auf einem Parkplatz neben einem IKEA-Lager. Und ich stieg aus. In Greve.
Ich überlegte, zur Autobahn zu gehen, aber zu dieser Zeit fuhren in Greve einfach keine Autos auf die Autobahn. Also schlug ich eine andere Richtung ein. Eine Viertelstunde später war ich am Bahnhof von Karlslunde. Dort
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