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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Rest aber dreckig, wohnt ein Mann dort. Allein.« Er lächelte, ging ins Wohnzimmer, Galba hinterher. Weiß öffnete die Sechziger-Jahre-Kommode. Er hatte recht. Den Staub auf den waagrechten Flächen konnte man sehen. Die Kommode enthielt eine Hausbar mit verspiegelter Rückwand. So etwas hatte Galba seit der Kindheit nicht mehr gesehen. Weiß nahm eine kleine Flasche heraus, betrachtete das Etikett, das von einem XO , Gold auf rotem Grund, dominiert wurde.
    »Was heißt das?«, fragte Anton Galba.
    »Extra old … oder so. Jedenfalls ein sehr guter Cognac, echt französisch.« Er stellte ihn wieder zurück, machte die Klappe zu und erstarrte. Als hätte ihn der Blitz getroffen. Dann stütztesich Chefinspektor Weiß mit der rechten Hand an der Kommode ab und griff mit der linken hinter sich, als wolle er sich da irgendwo festhalten. Da gab es aber nichts zum Festhalten. Nur leere Luft.
    »Was hast du?«, fragte Anton Galba.
    »Nichts … Besonderes«. Es klang gepresst. Wie bei einem, der antworten muss, obwohl er es lieber nicht täte, weil er grade eine Waschmaschine anhebt. Weiß tappte zu einem Stuhl und setzte sich. Wie ein alter Mann, dachte Galba, das kann doch nicht wahr sein.
    »Der Rücken«, sagte Weiß.
    »Bandscheibe?«
    »Ach was! Keine Bandscheibe, kein Ischias, kein gar nichts. Kein Befund. Mir tut nur manchmal der Rücken weh.«
    »Schlimm?«
    »Es geht. Manchmal kommt halt alles zusammen. Hast du ja selber gesagt.«
    Nathanael Weiß machte einen verletzlichen Eindruck. Er war blass. Schmale Lippen. Ein kranker Mann in Uniform. Ein Polizist mit Schwachstelle. Weiß war in der Schule nie krank gewesen. Supersportler, Skifahrer und und und … Dennoch schien Nathanael Weiß mit einem Mal dreißig Jahre jünger. Der Schüler Weiß, nicht mehr der Polizist. Anton Galba setzte sich auf den anderen Stuhl.
    »Was … was unternimmst du dagegen?«
    »Nichts. Bis jetzt. Mein Hausarzt sagt, eine Kur wäre gut.«
    »Dann mach doch eine!«
    Nathanael Weiß winkte ab. Eine kleine Weile sah es so aus, als wolle er ausführen, was ihn von einem Kuraufenthalt abhielt, aber dann schien er es sich anders zu überlegen. Die Farbe kehrte ins Gesicht zurück, die Lippen wurden voller.
    »Wo ist er, was glaubst du?«, fragte er.
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Bist du schon einmal hier gewesen, in diesem Haus?«
    »Ja, vor ein paar Monaten.«
    »Warum?«
    »Weil … warte … Es war etwas mit einem Laborprotokoll. Er hatte etwas eingetragen, einen Wert, meine ich, der einfach nicht stimmen konnte, nicht stimmen durfte!« Galba lachte. »Telefonisch war er nicht zu erreichen, also bin ich hergefahren. Ist ja nicht weit.«
    »Und?«
    »Ach, nichts. Ein Versehen. War ihm furchtbar peinlich.«
    »Warum durfte der Wert nicht stimmen?«
    »Weil dann die Anlage gar nicht funktioniert hätte. CSB-Wert von 600 Milligramm oder so …«
    Weiß fragte nicht, was der CSB-Wert bezeichnete, das schien nicht sein Problem an dieser spontan und völlig frei erfundenen Geschichte zu sein.
    »Ein zu hoher Wert?«
    »Viel zu hoch. Zehnmal …«
    »… Also ein Kommafehler? Wie bei dieser Spinatgeschichte. Eisen in Spinat. War ein Kommafehler bei der Analyse. 35 Milligramm statt 3,5 Milligramm.«
    Was? Das muss dieses Gefühl sein, wenn es in Romanen heißt, seine Gedanken überschlugen sich , dachte Anton Galba. Die Phrase war ihm immer schief vorgekommen. Jetzt fand er sie gar nicht mehr so schlecht … Immer der Reihe nach, fiel ihm ein: immer der Reihe nach. Sein Prüfungsmantra aus dem Studium. Weiß blickte ihn an. Mit Interesse, voller Erwartung. Eine Falle, das Ganze. Aber Weiß konnte nichts vom Prüfungsmantra wissen, auch wenn er sonst viel wusste, was man von einem Polizisten nicht erwartete.
    »Wenn es nur ein Kommafehler war – warum ist dir dasnicht aufgefallen? 600 Milligramm statt 60, genau das Zehnfache!«
    Immer der Reihe nach.
    »Es ist ein Irrtum«, sagte Anton Galba.
    »Die 600 Milligramm? Natürlich, das hatten wir schon …«
    »… die Spinatgeschichte. Ein Journalistenirrtum. Ein Basler Professor – ich glaube, er hieß Bunge oder so ähnlich – hat den Eisengehalt von Spinat völlig korrekt mit 35 Milligramm pro 100 Gramm Spinat bestimmt. Nur bezog er das, wie allgemein üblich, auf 100 Gramm Trockensubstanz. Spinat besteht aber zu 90 Prozent aus Wasser, also ist der Eisengehalt bei frischem Spinat natürlich zehnmal geringer. Es entstand die Legende vom hohen Eisengehalt des Spinats, weil Journalisten der

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