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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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vorher gut die Hälfte seiner Knochen gebrochen. Das stand nicht in der Zeitung, aber solche Sachen sickern immer durch. Wen es interessiert, der erfährt es dann auch.
    Nathanael Weiß billigte die osteuropäische Vorgehensweise nicht, verstand aber die Emotion dahinter: klar, dass so etwas nicht mit einem Klaps auf die Finger abgetan war. Die hatten einfach die Bremse nicht mehr gefunden. Wahrscheinlich war auch Alkohol im Spiel … nur, wie der Kerl hieß, fiel ihm nicht mehr ein, nicht ums Verrecken. Wie war er überhaupt darauf gekommen? Ach ja, wegen Galba.
    Er war mit Galba in der Schulzeit nicht befreundet gewesen, nicht einmal gut bekannt. In jener Klasse herrschte die Devise leben und leben lassen ; man bemühte sich, niemandem auf die Nerven zu fallen, und erwartete das von allen anderen. Weiß war in einer Sportclique gewesen, wo Galba hingehörte,wusste er nicht mehr … irgendwas mit Computern wahrscheinlich; eine Computerclique hatte es überall gegeben. Nach der Matura aus den Augen verloren? Falscher Ausdruck, da hätte Galba davor im Auge sein müssen , das war nicht der Fall, schade eigentlich. Ein paar von denen … da hätte es sich doch vielleicht gelohnt, sie näher kennenzulernen. Und wen kannte er noch von diesen Sporttypen, mit denen er jede freie Minute rumgehangen war? Niemanden. Freddy war vor zwei Jahren gestorben. Herzinfarkt. So viel zum Sport.
    Chefinspektor Weiß verlor sich in Gedanken. Dabei wurde ihm schwer ums Herz. Sentimentale Anwandlungen, er nannte es selber so: sentimentale Anwandlungen. Noch während er sie hatte, nannte er sie so und schalt sich einen alten Narren. Mit dem Alter hatte es zu tun. Womit auch sonst. Das Dumme war nur, dass er über solchen Grübeleien alles andere vergaß, was in der Gegenwart erledigt werden musste. Er riss sich zusammen: Galba. Es ging hier irgendwie um Galba, nicht um diesen … Wie hieß der Typ noch? Mathis. Ein ganz armes Schwein, da brauchte man kein Diplom in Sozialpsychologie, um das festzustellen. Lebte allein , hieß es dann immer. Vegetierte , würde besser passen. Imperfekt. Nicht vegetiert , nein: vegetierte. Leute wie Roland Mathis kommen im Präsens nie vor – erst in einem Nachruf ist von ihnen die Rede. Und allein – na bitte, was denn sonst? Vegetierte mit einer liebenden Frau und Gefährtin , kann es ja nicht heißen …
    Chefinspektor Weiß räusperte sich, straffte das Rückgrat. Er neigte dazu, in diesem dreimal verfluchten Bürostuhl einen Buckel zu machen, krumm zu werden. Für den Rücken war das nicht gut.
    Er versuchte sich zu konzentrieren. Dieses affektive Interesse an Mathis kam einfach daher, dass Adele ihn verlassen hatte. Immer noch kam das daher, obwohl es schon drei Jahreher war. Jetzt ging es ihr gut. Mit ihrem neuen Mann. Sie hatten ein gutes Verhältnis zueinander, doch, konnte man sagen. Das gute Verhältnis änderte leider nichts an der Tatsache, dass Adele das Beste war, was ihm im Leben begegnet war, und dass sie jetzt weg war.
    Er holte tief Luft. Galba also …
    Schoder betrat den Raum. Er war Chefinspektor wie Weiß, aber auch Inspektionskommandant und daher Vorgesetzter. Er kann nicht einfach reinkommen, dachte Weiß, er betritt alles. Es ist praktisch immer eine Fernsehkamera dabei, auch wenn keine da ist. Weiß erhob sich. Schoder war schwer, massig, der quadratische Schädel passte dazu, die Bürstenfrisur, natürlich eisgrau, sehr blaue Augen und dieser Ausdruck ständiger Bekümmertheit, wie ihn amerikanische Sheriffs im Film zeigen, wenn die Figur positiv gezeichnet werden soll. Damit der Zuschauer merkt: Der hier ist nicht der schlimme Finger bei der Polizei. Eine Nebenrolle. Oder die Hauptrolle in einem B-Film. Schoder hätte da gut hineingepasst. Die Übereinstimmung war kein Wunder, sondern beruhte auf Nachahmung; Chefinspektor Schoder wollte so aussehen wie der ehrliche Sheriff, wollte auch so sein. Schoder war wohlwollend und besorgt. Wer das nicht so gut vertrug, dieses Wohlwollende und Besorgte, den konnte es zur Weißglut treiben. Weiß kam damit zurecht. Sie gaben sich die Hand, Schoder hielt auf eine gewisse Förmlichkeit, auf Grüßen und so, das hätte jetzt ein Chief in einem Mittelwestkaff nicht getan, aber hier lebten sie eben achttausend Kilometer weiter östlich, die mentalen Unterschiede ließen sich nicht übersehen.
    Der Chef begann ansatzlos zu sprechen, während er sich setzte. Thema war die Dienstplanerstellung des nächsten Monats, erschwert durch einige

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