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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Gegenteil aus. Das kennt man aus vielen Fernsehkrimis. »Wo waren Sie gestern zwischen acht und neun? – Verdächtigen Sie mich, Herr Kommissar? – Routine, reine Routine …«
    Und wenn er ihn das fragen würde? – Wo warst du vorgestern zwischen neun und zehn? – Hier. – Kann das jemand bezeugen? – Ja, Mathis war auch da. Bis ich ihn die Treppe runtergeschubst habe, war er da. Danach war er nicht mehr da, ich aber auch nicht … Schluss, aus, Ruhe! Wenn er so weitermachte, konnte er sich gleich stellen. Er beruhigte sich. Der Spaziergang tat ihm gut. Wenn Weiß ihn aus der Fassung bringen wollte, hatte er einen Fehler gemacht. Ihm Zeit zum Nachdenken gegeben. Es erstaunte ihn, wie leicht er die Geschichte mit der falschen Analyse fabriziert hatte, mir nichts, dir nichts aus dem Ärmel geschüttelt, als mache er so etwas jeden Tag.
    Als er im Betrieb ankam, rief er die Mitarbeiter zusammen und informierte sie über die Lage. Mathis sei verschwunden, die Polizei gehe von einem Verbrechen aus, gesagt habe sie das nicht, die Polizei, aber er, Galba, habe das deutlich gespürt, dass die Lage als ernst eingeschätzt werde. Betretene Gesichter. Danach gingen alle wieder an ihre Arbeit. Mit Helga wechselte er im Büro ein paar Worte, gab den Besorgten, Bedrückten, wiederholte den Terminus Verbrechen . Jeder von ihnen, insbesondere Helga, würde das auf Befragung wiedergeben. Nur der psychopathische Serienmörder redet mit der Polizei von Verbrechen; die Hardcore-Variante des Brandstifters, der es sich nicht verkneifen kann, die Feuerwehr zu alarmieren und beim Löschen zuzuschauen. Aber hier ging es nicht um Serienmord, und gebrannt hatte es auch nicht. Wer also von Verbrechen herumfaselte, bevor die zuständigen Stellen den Sachverhalt überhaupt in Erwägung zogen, war der typischeWichtigtuer mit einem leichten Hang zur Hysterie, dessen herausragendes Charakteristikum allerdings darin bestand, dass er mit dem Fall nichts, aber auch gar nichts zu tun hatte. Diese Person hieß hier Anton Galba. Verdächtig wäre jener Zeitgenosse, der die Sache herunterspielt und es tatsächlich für möglich hält, Roland Mathis sei nach Brasilien ausgerissen. Wegen Midlife-Crisis oder so. Diese Rolle war nicht besetzt. Man wird einwenden, dachte Galba, dass ich meine Kenntnisse aus dem Fernsehen beziehe. Na und? Woher beziehen die Fernsehschreiber ihre Ideen? Aus ihren genialen Köpfen? Blödsinn. Aus den Polizeiprotokollen. Die haben doch alle ausgezeichnete Verbindungen zur Polizei … Er hoffte, dass dies so war. Dass die fast kanonische Figur des hysterischen Wichtigmachers auch in der Realität so häufig vorkam wie in Kriminalserien. Denn diese zu Anfang verdächtige Figur ist am Ende immer die unschuldigste von allen.

    *

    Chefinspektor Nathanael Weiß hatte Kopfweh. Das passierte oft bei Föhn, er konnte dann nicht klar denken. Manchmal halfen Tabletten, manchmal nicht. Er nahm zwei Aspirin aus der Schachtel in der unteren Schublade und schluckte sie mit dem Mineralwasser, das noch von gestern übrig war. Es schmeckte schal.
    Das Kopfweh, er musste es zugeben, hatte noch eine andere Ursache. Anton Galba. Er hätte, das wusste er jetzt auch, sich nie in die Sache einmischen dürfen. Wie war es nur dazu gekommen? Es war natürlich nicht üblich, dass der zweithöchste Leitende der Dienststelle die Ermittlungen in einem Abgängigkeitsfall übernahm – es sei denn, der Abgängige wäre ein Politiker oder ein Defraudant großen Stils wie dieser … wiehieß er noch … vor ein paar Jahren … der hatte zwei Millionen unterschlagen, wurde mehrmals in Brasilien gesehen und galt dem Vorarlberger Mittelstand, dem er mit windigen Anlagemodellen das Spargeld aus dem Sack gezogen hatte, als Gottseibeiuns des Kasinokapitalismus, heruntergebrochen aufs lokale Niveau. Von den weiter unten angesiedelten Schichten, die kaum die Rückzahlungen für ihre viel zu teuren Neubauwohnungen leisteten, wurde er bewundert – bis man ihn mit eingeschlagenem Schädel an einer abgelegenen Stelle der Bregenzer Ach fand. Irgendwer war nicht so friedfertig gewesen wie der Vorarlberger Mittelstand. Es hatte eine rumänische Spur gegeben, aber außer der Spur nichts Verwertbares. Der Fall war ungelöst. Jetzt war die Reihe wieder an den geprellten Mittelständlern, die berühmte klammheimliche Freude zu empfinden, wenn sie lesen konnten, dem Opfer seien vor dem finalen Schlag auf den Schädel erhebliche Verletzungen zugefügt worden. Man hatte ihm

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