Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
entfernten Reykjavík ist ein Abenteuer, da Ende März häufig dicke Wolken an den schroff abfallenden Bergen
hängen bleiben oder Schneestürme wüten. Die Berge rahmen Ísafjörður ein und gewähren Schutz, können den Anflug auf die Minimetropole
aber auch zu einer Grenzerfahrung machen.
Manchmal geht wegen der schlechten Sichtverhältnisse erst gar kein Flieger, manchmal kreisen die kleinen Maschinen zwanzig
Minuten über dem Fjord, in der Hoffnung, dass sich die dichte Nebelwand kurz lichtet, um dann kamikazemäßig auf dem Rollfeld
zwischen den steilen Berghängen und dem Meer zu landen.
Mit dem Auto ist es nicht unbedingt einfacher, nach Ísafjörður zu gelangen. Selbst Jeeps mit Winterreifen schlittern bei Schneetreiben
über die schmalen Landstraßen, die in den Berg gehauen wurden. Du kannst nur froh sein, wenn ein erfahrener Isländer hinterm
Steuer sitzt, der in diesem Moment besonnen gegenlenkt.
Da es in der Festival-Stadt mit seinen knapp 4000 Einwohnern lediglich ein Hotel und wenige Gästehäuser gibt, übernachten die meisten Besucher bei Freunden oder Verwandten
auf der Wohnzimmercouch; einige fahren nachts sogar noch einen Fjord weiter, um im zwanzig Kilometer entfernten Nachbarort
zu schlafen. Als Mugison einmal Probleme hatte, für alle Gästeeine Unterkunft zu finden, rief er kurzerhand die Polizei an: Sie ließen die Besucher dann in den Gefängniszellen übernachten.
Þetta reddast – das wird schon irgendwie klappen, lautet das Lebensmotto der Isländer. Nach dem Finanzcrash im Oktober 2008
war es kurze Zeit verpönt, das zu sagen, doch bei vielen ist diese Haltung tief in ihren Seelen verankert. Manche sagen es
heute zwar mit ironischem Unterton, doch es klappt noch immer: Da jeder jemanden kennt, der helfen kann, und die Inselbewohner
es sowieso gewohnt sind, sich spontan auf neue Herausforderungen einzustellen, gibt es für alles eine Lösung. Und wenn es
eine Zelle als Nachtquartier ist.
Auf die Idee für das Festival kam Mugison, der eigentlich Örn Elías Guðmundsson heißt, 2003 in Großbritannien. Sein Vater
begleitete den international bekannten Elektropop-Musiker damals auf ein Festival im Londoner Institute of ContemporaryArts. An jenem brütend heißen Sommertag war der Event perfekt organisiert, es gab einen genauen Ablaufplan für die Künstler,
den Soundcheck hatten sie schon vor Stunden gemacht, nun hieß es wieder warten.
Ísafjörður im Winter
Vater und Sohn tranken ein Bier.
Und warteten. Tranken noch ein Bier.
Irgendwann war Mugison an der Reihe, spielte ein paar Songs und hatte dann nach einem langen Tag des Herumsitzens frei. Die
beiden Isländer feierten ein bisschen weiter, an jenem Sommertag in London. Je betrunkener sie wurden, umso verrückter wurden
die Ideen: Wie könnte ein Festival aussehen, das das absolute Gegenteil von diesem Gig wäre? Sie stellten sich vor, wie Arbeiter
aus einer Kleinstadt die Hauptattraktion wären und die bekanntesten Musiker Islands die Supporting-Acts. Am nächsten Morgen
begeisterte sie der Gedanke immer noch, also riefen sie ein paar Leute an, und Ragnar Kjartansson, ein befreundeter Musiker
und Künstler, mobilisierte in kurzer Zeit einige Bands. Die Regeln waren einfach: Das Festival findet über Ostern in Ísafjörður
statt, zu einer Zeit, in der es dort ziemlich kalt und ungemütlich ist. Jeder ist ein Headliner, es gibt keine Gagen und keine
Soundchecks. Jede Band darf genau zwanzig Minuten spielen.
Fehlte nur noch die Halle. Wie bei so vielem begann man auch hier erst ein paar Tage vor Konzertbeginn langsam darüber nachzudenken.
Ein reines Open-Air-Event wollten sie selbst ihren hartgesottenen Landsleuten nicht antun, fürs Equipment wäre das ohnehin
ungünstig gewesen. Schließlich kommt der Schnee hier – genau wie der Nieselregen – durch den sich ständig drehenden Wind aus
allen Richtungen.
Ein paar Telefonate später fanden die Organisatoren die Fabrikhalle einer Firma, die gerade dichtgemacht hatte. »Klar könnt
ihr die Halle nutzen, sie steht aber noch voller Kram«, sagte derFirmenchef. Mugison und Mugipapa, wie sein Vater genannt wird, trommelten eine Truppe von freiwilligen Helfern zusammen. Praktischerweise
hatte kurz vorher ein Freund erzählt, dass er einen Gabelstapler besitze, für den Fall, dass sie mal etwas räumen müssten.
Innerhalb von drei Tagen war die riesige Halle leer.
Und so konnte Ostern 2004 das ungewöhnliche
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