Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
ausgelöscht werden konnte.
Erst in diesem Moment wurde mir klar, dass mein Projekt der Ausdruck eines Verständnisses war, das ich schon lange in mir trug, ohne es zu wissen. Es ging dabei um etwas, das ich – viel zu früh – durch den Tod meines Onkels und meines Bruders gelernt hatte. Ich hatte angenommen, diese Lektion beträfe nur mich und sei aus meiner persönlichen Verzweiflung erwachsen.
Doch als ich meine weinende Frau im Arm hielt, erkannte ich, dass es nicht um
meine
Verzweiflung ging. So etwas wie meine oder deine Verzweiflung gibt es nicht. Es gibt nur unsere Verzweiflung. Doch das wird uns oft nicht bewusst.
Ich verstand jetzt, was es mit Bing und David auf sich hatte. Jeder verliert Bing und David. Manche Menschen verlieren sie am Anfang ihres Lebens, manche mittendrin und manche am Ende. Manche verlieren ihre Kinder und manche ihre Geschwister. Michelle verlor ihr ungeborenes Kind mit 39. David hörte in seinem Bettchen auf zu atmen, als ich vier war. Und Sie? Wen haben Sie verloren? Denn ich bin zutiefst überzeugt, dass wir nicht voneinander getrennt sind.
Ob es uns gefällt oder nicht: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Und das ist ein Trost. Ich bin nicht der Einzige, der ängstlich und einsam und ratlos ist und sich nicht zu helfen weiß. Wir alle wissen uns nicht zu helfen, aber eines können wir tun: Wir können
einander
helfen.
Dae Soen Sa Nim versuchte, den Papst in ein heißes Bad zu bekommen. Mayer demonstrierte gegen den Krieg. Ich bemühte mich, keinen Müll zu produzieren, und ich schleifte meine arme Frau mit durch mein Projekt. Wenn Sie am Grab eines Kindes stehen, wünschen Sie sich dann, Sie hätten noch ein Videospiel mehr gehabt? Wenn ich meinen letzten Atemzug tue, werde ich mir dann wünschen, ich hätte mehr Dinge besessen?
Ich glaube, ich werde mir nur eines wünschen. Dass ich mehr geliebt hätte. Dass ich mich nicht von Dingen oder Leistungen hätte ablenken lassen. Das Leben ist so kurz, so schnell vorüber. Wofür nutzen wir es?
Gegen die Fehlgeburt und Isabellas Fieberkrämpfe können wir nichts tun, aber wir können etwas gegen die Wasserknappheit tun und dagegen, dass Kinder an Durchfall sterben. Es ist kein Schicksal, dass Sharon Asthma hat. Das Einzige, was wir tun müssten, um Kinder wie Sharon zu heilen, ist, weniger Müll zu produzieren. Weniger Rohstoffe zu verschwenden. Weniger Leben zu verschwenden. Denn Sharon ist auch Ihre Tochter.
Ein Jahr war nun vergangen, seit wir mit unserem Experiment begonnen hatten. Nach all diesen Erlebnissen und Erkenntnissen war es ein verwirrendes Gefühl, aber ich ging zum Hauptschalter und stellte den Strom wieder an.
Epilog:
Das Leben nach dem Jahr ohne Klopapier
Dies sind die Fragen, die mir in Bezug auf das No Impact Project am häufigsten gestellt werden:
Was ist Ihnen am schwersten gefallen?
Welche Elemente des Projekts haben Sie beibehalten?
Wie hat das Projekt Sie verändert?
Was haben Sie statt des Klopapiers verwendet?
Und dies sind die Fragen, die ich mir selbst noch stelle:
Wenn die Wissenschaftler davon ausgehen, dass im Zuge der Erderwärmung Tausende von Arten aussterben werden, wie sorgen wir dafür, dass wir nicht eine davon sind?
Mit anderen Worten: Wie retten wir den Planeten?
Wird diese verdammte Frage nach dem Klopapier jemals aufhören?
Kurz vor Weihnachten 2007 schalteten wir das Licht wieder an. Wegen des Reiseverbots im Rahmen des Projekts hatte Michelle ihre Familie in Minneapolis seit über einem Jahr nicht mehr besucht. Wir hatten vor, die Feiertage bei ihnen zu verbringen, aber um den enormen CO2-Ausstoß beim Fliegen zu vermeiden, wollten wir mit dem Zug fahren.
Dann informierten wir uns. Die Hin- und Rückfahrt würde jeweils zwei Tage dauern (bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von vierzig Stundenkilometern). Wir würden ein Schlafwagenabteil brauchen, da wir niemandem Isabellas Energie während zweier eingesperrter Tage im Zug zumuten wollten. Und obendrein würde der Spaß 2500 Dollar für uns drei kosten. Mit dem Flieger ging es wesentlich schneller und kostete nur 1000 Dollar.
Damit war die Sache klar. Während es in Europa Hochgeschwindigkeitszüge gibt, die 200 Kilometer in der Stunde zurücklegen, befinden sich die Vereinigten Staaten bezüglich komfortablem, CO2-armem Fernverkehr noch in der Steinzeit. Michelle und Isabelle würden das Flugzeug nehmen.
Ein Öko-Taxiservice brachte sie mit einem Prius zum Flughafen, aber ohne mich.
»Du
Weitere Kostenlose Bücher