Alles über Sally
Gewissen wegwarf, Sally ging es ähnlich, und die Kinder hatten es geerbt oder die gleiche Angewohnheit entwickelt in Bezug auf ihre Kleider, Spielsachen, Buttons, Abzeichen, Bleistifte, Magazine, Bücher und sogar Bilder . Zu dem Zeitpunkt, als Alfred und Sally in den Urlaub gefahren waren, war das arme, dreckige, kleine Haus ausgebeult gewesen von Dingen, die andere Leute als Plunder einschätzen würden. Vom Keller bis unters Dach hatte es sich in einem Zustand befunden, in dem jeder neue Gegenstand, selbst ein kleines Heftchen, das hinzukam, es nötig gemacht hatte, dass ein anderer Gegenstand bewegt wurde.
Der Einbruch hatte stellenweise Platz geschaffen, aber nach Kubikmetern fiel die Einbuße nicht ins Gewicht. Vor allem hatten die Einbrecher die kompakte und mühsam verwaltete Ordnung umgewälzt, und zwar so gründlich, dass man in dem entstandenen Durcheinander die Menge des Vorhandenen vorgeführt bekam auf eine Art, die alleswie Plunder aussehen ließ. Welche wunderbaren Dinge! Und wie langweilig und hässlich und verzichtbar sie am Fußboden ausschauten! Sally hatte eine Beruhigungstalette genommen, um sich für das Bevorstehende zu wappnen, sie hätte besser zwei geschluckt, so schockiert war sie von der Traurigkeit dieses Ortes, an dem jeder Gegenstand das Echo der Einbrecherstimmen zurückwarf: Behaltet es, es ist nichts wert! Im Wohnzimmer versuchte Sally eine Weile, das trostlose Chaos einzuschätzen, dann sagte sie:
»Sie haben uns offenbar nicht das Haus ausgeräumt, sondern nur die Schränke.«
Alles lag wie Kraut und Rüben, und man konnte nicht glauben, dass Erik und Nadja schon einige Zeit mit dem Aufräumen beschäftigt waren, Nadja, diese schmale, zähe Frau mit ihren langen Armen und ihren präzisen Bewegungen. Sie behauptete, Alfred und Sally würden lediglich eine vom Teufel schon ein bisschen befreite Version des Desasters zu sehen bekommen. Dabei herrschte noch immer ein heilloses Durcheinander, und man konnte sich nicht vorstellen, wie die Zimmer ausgesehen hatten, bevor der unerwünschte Besuch gekommen war. Umgestürzte Möbel, Eier und Eierschalen, die in die Wüstenornamente der Teppiche getreten waren. An den Wänden klebte der Kirschsirup, den Alfred aus dem Burgenland bezog. Die Gläser in der Küche ließen darauf schließen, dass die Einbrecher den Sirup zuerst probiert und erst anschließend beschlossen hatten, möglichst viel Schaden damit anzurichten. Rote Rinnsale flennten in allen Zimmern des unteren Stockwerks über die weißen Wände, nur nicht im Spielzimmer,dort lag die leere Flasche neben Emmas demoliertem Cello.
Alfred hob das Cello hoch, als Musikinstrument war es eindeutig gestorben, allenfalls als Brennholz hatte es noch ein kleines Leben vor sich. Die Rückseite war durchgetreten, vorne fehlte neben dem rechten F-Loch ein faustgroßes Stück, und das Holz klaffte an der Bruchstelle in hellen Zacken. Die noch einigermaßen gespannten Saiten gaben bei der Berührung klägliche Geräusche von sich, wie unendlicher Trostlosigkeit sich entringend.
»Ich denke, da kann man nichts mehr machen«, sagte Nadja.
»Ja, es ist wohl ein für alle Mal kaputt.«
Alfred ließ das Cello wieder zu Boden fallen. Das Geräusch, das dabei entstand, war ein passender Kommentar. Alfred hielt einen Augenblick inne und suchte nach einer Formulierung für das, was er empfand.
»Es kommt einem vor wie ein Blick ins Schlachthaus«, sagte er schließlich. »Wie blutiges Fleisch.«
Der Vergleich traf es ganz gut, fand Sally, ein Zucken der Abscheu lief über ihr Gesicht. Wohin sie blickte, überall die Ergebnisse von gesetzeswidrigen Handlungen, schlimmer noch, von Dummheit und purem Hass auf das Leben.
Alfreds Stimme zitterte, als er fortfuhr.
»Warum jemand so etwas tut, ist mir ein Rätsel. Warum können sie sich nicht damit begnügen, einzubrechen und zu stehlen? Wozu noch diese kleinen Schäbigkeiten?«
Sally legte ihren Arm um seine Schultern, endlich, sie drückte ihn zu sich heran, sie schaute – na, was? – Was sollman sagen? – Nichts? – Sie biss sich auf die Lippen, sie sah, dass Nadja sie beobachtete, still, damit beschäftigt, wahrzunehmen und einzuschätzen.
»Kopf hoch, Dicker«, sagte Sally. »Diese Leute denken nicht so viel, wie wir es gerne hätten. Sie kommen herein, schauen sich um, tun, wonach ihnen ist, und gehen wieder. Es ist ihnen egal, ob wir sensible Gemüter haben oder nicht.«
»Es ist gegen den gesunden Menschenverstand!« empörte sich Alfred.
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