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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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»Es ist – – vernunftwidrig!«
    Vernunftwidrig? Als Lehrerin wusste Sally, die größte Gefahr liegt immer in der Gedankenlosigkeit.
    »Wenn du sie fragen würdest«, sagte sie, »gäben sie dir womöglich zur Antwort, es sei ohne böse Absicht passiert.«
    »Und ich würde ihnen in eindeutiger Absicht den Garaus machen, am besten mit einem Spaten, das spart die Kugel.«
    Es entstand eine kurze Stille, während der alle die Köpfe verdrehten oder die Mundwinkel verzogen. Dann sagte Erik:
    »In Alfred brodelt gerade die Volksseele.«
    Es entstand nochmals eine Pause. Die Luft schien die boshaften Stimmen der Einbrecher auszudünsten, knappe Legenden wie in der Zeitung unter den Bildern.
    Wir hatten ein paar Bier getrunken und waren nicht gut drauf.
    Nicht gut drauf? Ich schlage vor, ihr kniet nieder und macht den Hals frei.
    Das Unbekannte, mit dem das Haus geladen schien,verunsicherte alle, ganz besonders aber Alfred. Er hatte das Gefühl, es befinde sich etwas in der Nähe und er müsse nur den Kopf drehen, um dunkle Gestalten an sich vorbeihuschen zu sehen. Dieses Gefühl war so stark, dass es ihm Angst machte und er sich Luft verschaffen musste. Ganz plötzlich pfefferte er ein Schimpfwort in eine Zimmerecke, ganz so, als würde sich dort jemand verstecken.
    »Das ist doch Wahnsinn hier«, sagte er. »Das ist mehr, als ich verkraften kann.«
    Jetzt bemühte sich auch Nadja, ihm gegen seine Schmerzen ein paar Pillen zu drehen, es fiel ihr schwer, etwas Heilsames zu finden, über gutgemeinte Phrasen kam auch sie nicht hinaus. Immerhin: Als sie sich nach einem Lavendelsäckchen bückte und dabei zu Alfred aufsah, so dass sich der Ausschnitt ihrer Bluse ein zusätzliches Stück öffnete, blickte Alfred hin wie ein Halbwüchsiger. Kann sein, Nadja hatte ihm das kleine Geschenk absichtlich gemacht, diese ansonsten mit ihrem Sex so knausrige Frau.
    Sie gingen in Alfreds Schreibzimmer. Dort war die Atmosphäre nicht weniger schlimm, ein umgestürzter Tisch und herausgerissene Schubladen. Eine Kohlezeichnung dreier dickbauchiger Pferde hing hilflos an einem einzigen Nagel, Sirupschlieren sorgten auch hier für etwas Farbe, kleine Flecken auch auf dem anderen Bild im Zimmer, Flecken unter vielen Flecken im Leben. Die Regale waren größtenteils leergefegt, aber die kleine, blau glasierte Katze, die Alfred aus Ägypten herausgeschmuggelt hatte, saß zu aller Verwunderung fast unverändert auf ihrem Platz, ein wenig verrutscht, wie ein Kegel, den die Kugel bloß gestreift hat.
    Sally drehte die Katze in die gewohnte Blickrichtung zum Schreibtisch, wo sie ihren Herrn bewachte, wenn er dort fast jeden Morgen in sein Tagebuch schrieb.
    »Die Katze ist mit Abstand das Wertvollste im Haus«, sagte Sally. »Ich nehme an, die Einbrecher waren verwirrt von dem, was sie in der Truhe gefunden haben.«
    Die Truhe, ein massives, normalerweise durch ein Vorhängeschloss gesichertes arabisches Möbelstück, war aufgestemmt und der Inhalt, Alfreds Tagebücher und Schallplatten, lag davor am Boden. Wie nicht anders zu erwarten, bedeuteten diese Dinge niemandem etwas außer ihrem Besitzer, trotzdem hatte Alfred noch im Flugzeug von einem Safe geredet, der den Tagebüchern und Schallplatten besseren Schutz bieten würde.
    Alfred kniete am Fußboden nieder und glättete die geknickten Seiten, wo ein Tagebuch unglücklich zu liegen gekommen war. Er klaubte die herausgefallenen Weinetiketten und Kinokarten auf, offenbar hatten die Einbrecher in allen Bänden nach geheimen Kammern oder zwischen den Seiten verstecktem Geld gesucht. Alfred ordnete die Tagebücher zu drei etwa gleich großen, kniehohen Stapeln. Währenddessen berichtete Nadja vom Besuch der Polizei am Nachmittag, sie rollte die Sache von vorne nach hinten auf, Erik trug Details bei, die ihm bemerkenswert erschienen; dass die Gläser, aus denen die Einbrecher getrunken hatten, zu Protokoll genommen, aber nicht in den Rang von Beweismitteln erhoben worden waren. Und so weiter.
    Sie setzten den Rundgang fort, von einem Raum zum nächsten. Wie vor dreiundzwanzig Jahren bei der ersten Besichtigung verschafften sie sich einen Überblick. In diesenRäumen hatten Alfred und Sally sich geliebt, hier hatten allerlei kleine Katastrophen stattgefunden, Geburtstagsständchen waren gesungen worden, von tiefen und von hohen Stimmen. Drei Kinder waren ihren Kinderschuhen entwachsen. Die Zimmer waren in Unordnung geraten und wieder aufgeräumt worden, damit neue Unordnung entstehen konnte. Aber

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