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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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lachten die andern, das wär’ richtig, «laß dir nichts gefallen, Junge!»
    Daß er als deutscher Junge einen kräftigen Händedruck nicht aushält? fragte sich der Mann. «Bist du denn aus Watte?» Daßman ihm mal kräftig die Flosse drückt? daß er das nicht aushalte? Das wundere ihn. Er sei wohl ein Muttersöhnchen? Hinterm Ofen hocken oder wie oder was?
    Wär’ er denn kein Pimpf?
    Er soll mal seinen Ausweis zeigen. Gerade zwölf.
    Sie luden Peter ein, sich zu setzen, und sie schoben ihm ein Stück Speck hin. Ob er aus dem Dorf hier stammt? Nein, er ist nicht von hier, sagte Peter. Sein Dorf sei schon von den Russen besetzt, alle seine Leute seien tot ... Und dann sagte er, daß er allein übriggeblieben sei, sich versteckt habe, und eines Abends seien sie dann dagewesen, die erdbraunen Gestalten, geduckt seien sie an seinem Versteck vorübergeflitzt ... Und seine Luftpistole tüterte aus dem Hosenbund hervor, als wollte er sagen: Mein Leben hätte ich teuer verkauft ...
    Die Männer hörten nur kurz zu, sie merkten sofort, daß Peter Lügengeschichten erzählte, und die wollten sie sich nicht anhören.
    «Halt’s Maul!» sagten sie. Sie hätten was anderes erzählen können, Orden trugen sie ja alle.
     
    Als die gold’ne Abendsonne
    sandte ihren letzten Schein, letzten Schein,
    zog ein Regiment von Hitler
    in ein kleines Städtchen ein …
     
    sang der eine, so als ob er sich über das Lied lustig machte, und er paukte mit der Bierflasche den Takt dazu.
    Ja, das waren noch Zeiten gewesen. Österreich, das Sudetenland ... Die Blumenkriege! Nach Österreich noch das Sudetenland und dann Schluß machen, das wär’ richtig gewesen. Und nun saß man in der Scheiße und keine Ahnung, wie man hier wieder rauskommt.
    Als sie da so saßen und mit abgebrannten Streichhölzern ein Glücksspiel spielten, kamen frierende Gestalten angehumpelt, und eine von ihnen trat nach kurzem Zögern in die Gaststube ein, es war ein Kriegsgefangener, ein Russe, und der sagte «Kamerad» zu den Soldaten, man habe sie vergessen, was sollen sie machen, wo sollen sie sich melden?
    Ob sie ihm helfen könnten, fragte er in seiner Sprache, kaum zu verstehen – und da sah er auch schon die SS-Runen auf den Kragenspiegeln der Soldaten und wurde blaß.
     
    «Klar, können wir euch helfen», sagte der junge SS-Mann und lachte. «Kommt mal mit! »
    Hinter dem Gasthaus war eine Kegelbahn, und da mußten sie sich hinstellen, und dann schoß der Mann sie ohne weiteres nieder.
    Er kam herein und steckte die Pistole weg.
    Die andern lachten nicht, sie nickten nur. So ist das nun einmal. «Was meinst du, wie die sich aufführen, wenn man sie auf die deutschen Frauen losläßt! » sagten sie zu Peter.
    «Was glaubst du, wie die hausen werden, deine erdbraunen Gestalten!» und nahmen ihr Streichholzglücksspiel wieder auf.
     
    Aber dann hatten sie genug vom Herumsitzen. Nun weiterfahren. Nun beenden diese Sache hier.
    «Und was wirst du jetzt machen?» fragten sie Peter. Der zuckte die Schultern.
    «Na, dich nehmen wir mit», sagten sie. Vielleicht dachten sie, er könnte so eine Art Trommelbube ihrer Einheit werden?
    Sie fuhren zum Pastor, Heil Hitler, dessen Haus gänzlich von flatternden Vögeln umgeben war, von Meisen, Spechten und Kirschkernbeißern – eben schüttete er die letzte Tüte aus. Ihmschlotterten die Knie, Heil Hitler, als er die SS sah. «Der Junge hat mich also tatsächlich verpetzt», dachte er, «nun werde ich verhaftet ... », aber Peter wollte sich nur verabschieden. Er nahm seinen Rucksack auf und das Mikroskop unter den Arm und sagte «Auf Wiedersehen!» Den Koffer ließ er stehen. All die Hemden und Hosen brauchte er nicht.
     
    «Was?» sagte der Pastor, «du willst mich im Stich lassen? Ich habe gerade Suppe für uns gekocht ... », und er gab ihm nicht die Hand. «Wir hätten ja auch zusammen gehen können ... », zog ihn an sich und flüsterte: «Und du fährst mit der SS davon?»
    Ja, Peter fuhr mit den SS-Leuten davon. Vorher guckte er noch eben in die Kirche hinein. Es waren viele Leichen hinzugekommen. Wo lag das Tantchen? Er schlug die Decke zur Seite: Der abgerissene Arm, er sah die beiden Ringe schon nicht mehr an ihrem Finger...
     
    Dann sprang er in den Wagen, und schon bogen sie auf die Treckstraße ein, der Fahrer hupte wie verrückt, und die Bauern hielten ihre Wagen an, und dann rasten sie zwischen den Trecks dahin. Schleuderten noch mit den Hinterrädern, und dann ab. Einmal wurden sie angehalten,

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