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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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keine Anstalten.
    Würde man den Christus über dem Portal mit einem Hammer abschlagen müssen und mitnehmen? Dieses liebe Bild, das ihn schon so lange begleitete, den bolschewistischen Horden zur Zerstörung anheimfallen lassen?
     
    Er öffnete den Koffer der Tante. Was um Himmels willen sollte der Junge bloß mit all den Schlüpfern und Hemden? Taschentüchern mit rotem Schleifchen? – Die silbernen Löffel hatte Peter bereits eingesteckt. Aber einen davon, den hatte er jetzt sicher! «Den hab ich ihm abgeschnackt! » dachte der Pastor. Den würde er wie einen Talisman hüten. Ohne Stempel allerdings. Aber doch wohl Silber.
    Er nahm einen Packen Taschentücher in die Hand. Eins mehr oder weniger? Würde es auffallen?
     
    Warum hatte er sich bloß hinreißen lassen und von den «Deutschen Christen» gesprochen? «Du bist so vertrauensselig», hatte seine Frau immer zu ihm gesagt, «du redest dich noch um Kopf und Kragen ... »
    Hatte der Junge selbst nicht auch irgend etwas gesagt, was man notfalls gegen ihn verwenden könnte? «Nazi.» Er hatte von Drygalski, «dem Nazi», gesprochen. Ja, das war es. Damit würde man ihn kriegen können. Dieser Drygalski war schließlich Amtsleiter der Partei.
    Nazi? Wer ein solches Wort gebrauchte, machte der sich nicht auch schuldig? Demaskierte der sich nicht?
    Er setzte sich ans Harmonium und tippte eine Melodie in die Tasten. Aber die Bälge trat er nicht.
     
    Ich wollt, daß ich daheime wär
    und aller Welte Trost entbehr.
    Ich mein, daheim im Himmelreich,
    da ich Gott schaue ewiglich.
    Er hatte alles so satt!

Allein
    A m nächsten Morgen guckte der Pastor aus dem Fenster und sagte zu Peter, der sich in der Küche wusch: «Schnee, Schnee, Schnee ... » Er tippte an das Barometer und sagte: «Steigt!», und am Außenthermometer las er 15 Grad Kälte ab. «Schnee, Schnee, Schnee! Die armen Menschen, wie sollen sie bloß durchkommen? Das gibt gewiß Schneewehen in Meterhöhe.» Er ging hinaus und warf den Vögeln ein paar Körner hin. Dann aber schüttelte er die ganze Tüte aus, wie ein Sämann, und die Vögel kamen aus allen Richtungen. Warum sollte man das Vogelfutter noch zurückhalten, nun, wo doch alles verloren war?
     
    Peter ging an die Straße, hier fuhren wieder oder immer noch die Wagen rumpelnd und knirschend, einer hinter dem andern dahin. «Wo geht’s hin?» rief einer – dem antwortete niemand. Der tote Wallach lag schon unter dem Schnee, das Maul offen und die Zähne zeigend, der hatte hier seine eigene Schneewehe. Man konnte das Tier hier doch nicht so einfach liegenlassen? Umgestürzte Wagen an der Straße. Dazwischen Leichen. Und im Straßengraben andere Leichen: Kinder.
    Peter dachte an den Wallach: Er hatte immer das Häcksel vom Hafer weggeblasen, das schlaue Tier. Wenn Wladimir ihn hinaufgehoben hatte auf das große Pferd, dann hatte der Wallach ihn am Bein gekniffen, zärtlich. Und hatte er nicht sogar einmal in seiner Buchte geschlafen?
    Wie sollte er den Kadaver beseitigen? Vorn flogen die Krähen auf von anderen Pferden, die auch die Hufe von sich streckten.
    Peter ging durch das leere Dorf. Keine Menschenseele war zu sehen.
    Ein Kriegerdenkmal. – Dorfteich, Linde und Krug. Im Sommer plantschten hier Enten und Gänse. Jetzt saßen auf der Linde Krähen. Schlittschuh hätte man auf dem Teich laufen können. Die Türen der Häuser und die Scheunentore standen offen. Papier wehte heraus, und die Gardinen aus den Fenstern.
    In einem Haus stand ein Stuhl, mitten im Zimmer, da saß ein alter Mann und lallte. Als er Peter sah, hob er die Hand ... Peter ging rückwärts aus dem Zimmer hinaus. Was sollte er mit einem alten lallenden Mann anfangen? Zurückgelassen hatten ihn die Seinen, und nun saß er hier und lallte.
     
    Vor dem Dorfkrug stand ein Geländewagen, und aus der Wirtschaft hörte man Stimmen. Es waren drei SS-Männer, die hier saßen. Speck hatten sie sich gebraten, und Schnaps tranken sie dazu. Die Soldaten – Nahkampfspange und Eisernes Kreuz – wollten sich nur ein wenig verschnaufen, hielten Kriegsrat, was nun werden soll? Zwei ältere und ein jüngerer, der wie ein Schüler aussah.
     
    Als der Junge hereinkam, Heil Hitler, ergriff der junge SS- Mann seine Hand und sagte: «Weißbrot? oder Schwarzbrot?» und drückte ihm die Hand und hielt sie fest im Schraubgriff, so daß Peter aufschrie.
    «Also Weißbrot», sagte der Mann verächtlich und schraubte die Hand fest und immer fester. Peter trat ihm mit aller Kraft auf den Fuß. Da

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