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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ganz andere Sache, über damals, den Sommertag an der See, über den einzigen Tag. Einen weißen Anzug hatte der Mann an ihrer Seite getragen. Aber das tat nichts zur Sache, damit hatte der Beamte nichts zu tun. Gern hätte sie ihm davon erzählt. Wem hätte sie sonst davon erzählen sollen? Daß der Bürgermeister von Mitkau mit der Frau von Globig gemeinsam im Strandkorb gesessen hat und was sich daraus ergeben hatte, wen interessierte das denn heute noch?
     
    Vieles ging ihr durch den Kopf.An das Wasser im Keller dachte sie, an die Fremdarbeiter im Waldschlößchen.
    Wie würde Eberhard es aufnehmen? Seine eigene Frau im Gefängnis? Würde er sich Fusseln vom Uniformrock zupfen und sagen: Das kann ja gar nicht sein?
     
    Der Beamte nahm den Schlüssel und stand auf. «Kommen Sie mit! » sagte er. Und dann ging er hinaus auf den Hof. Stand mit ihr in der Tür und sah den Schneeflocken zu, wie sie sanft und gleichmäßig vor der Mauer herunterschwebten. Von den Zellen her waren Stimmen zu hören. Lachte da einer?
    Er schloß noch eine Tür auf, und da standen sie dann auf dem Marktplatz. Menschen gingen vorüber, die sahen nicht einmal auf. Von Nordosten die Schlange des Trecks, wie sie, quer über den Markt ziehend, durch das Senthagener Tor wieder verschwand.
    Einige Wagen begannen sich auf dem Marktplatz zusammenzuschieben wie zu einer Wagenburg. Die richteten sich auf die Nacht ein.
    Ein paar Atemzüge frische Luft gönnte der Beamte ihr. Auch mal ein paar Schritte hin und her gehen.
     
    «Kennt mich denn keiner?» dachte Katharina. Aber sie kannte ja auch keinen der Passanten. Dort drüben im Rathaus, da saß einer, der sie ganz genau kannte, ein Freund? aber der ließ sich nicht sehen, der rührte sich nicht.
     
    Der Beamte zeigte auf die Kirche: «Da! » sagte er. «Dem Herrn Pastor Brahms haben Sie das alles zu verdanken. – Das ist ein feiner Herr ... » Und er blieb mit ihr stehen, ein paar sehr lange Minuten, und ließ sie ein- und ausatmen. Und er dachte an den schwarzhaarigen Juden, den man im Keller erschossen hatte: In den Knien war er eingeknickt und dann auf die Seite gesackt.
     
    Ich tanze mit dir in den Himmel hinein,
    in den siebenten Himmel der Liebe …
     
    Katharina dachte an Felicitas. Eine kleine Viertelstunde Wegs, am Kino vorbei und an der Post, und sie wäre bei Felicitas.
    Zu einem solchen Ausflug würde sie den Beamten nicht bewegen können. Das Gezwitscher ihrer Freundin und ihr Lachen und eine Geschichte nach der anderen? – Felicitas war zu dieser Zeit schon längst über alle Berge, das konnte Katharina nicht wissen, sie hatte sich ihren Flüchtlingen angeschlossen, die sich als findig entpuppten. Katharinas Hasen hatten sie gemeinsam verspeist, und das hatte sich ausgezahlt. «Wir bleiben zusammen», hatte sie zu der Flüchtlingsfrau gesagt. Und der war’s recht.
     
    «Ja», sagte der Beamte. «Man kann sich auf niemanden verlassen. Der Pastor war kein unbeschriebenes Blatt. Sie ahnen ja gar nicht, was wir alles bei ihm gefunden haben!» Sich mit einem solchen Manne einzulassen, das sei doch ein Spiel mit dem Feuer?
    Was wollte er von dir? dachte sie, als sie wieder in der Zelle saß. Wollte er dich laufen lassen? – Sollte ich ihn trösten?
     
    Peter verbrachte die Nacht im Ehebett des Pastors. Er hatte die beiden Teelöffel, den kleinen vertrockneten Blumenkranz und das goldene Medaillon mit Kette auf den Nachttisch gelegt und war sofort eingeschlafen.
    Mehrmals in der Nacht war der Pastor aufgestanden und hatte aus dem Fenster gesehen. Dachte er an seine Geigerin? Hantierte er in der Küche?
    Der Pastor dachte an das, was er über die «Deutschen Christen»gesagt hatte, daß er Peter davon erzählt hatte. Daß er so abfällig davon gesprochen ... Dieser Junge war doch gewiß ein Pimpf? Hatten nicht schon Kinder ihre eigenen Eltern angezeigt wegen eines unbedachten Wortes?
    Aber « von Globig»? Diese Aristokraten waren doch alle gegen Hitler? 20. Juli und so weiter und so fort?
     
    Das hätte ihm noch gefehlt, daß er im letzten Moment noch hopsgeht! Den Ortsbauernführer überstanden, immer hatte der unter der Kanzel gesessen und genau zugehört, mitgeschrieben sogar, und nun von Kinderhand dem Henker ausgeliefert?
    Es würde am besten sein, man machte sich aus dem Staube. Er hätte gleich mit den Bauern fahren sollen, angeboten hatten sie es ihm. Der Superintendent hatte ihm ja schon Dispens erteilt. Der katholische Kollege allerdings, im Nachbarort, der machte

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