Alles Umsonst
im Osten besorgt. Ob sie nach Deutschland wollten, groß und mächtig, hatte er sie in ihrem Dorf gefragt. Berlin, mit Kinos und U-Bahn? Und dann waren sie in Georgenhof gelandet.
Peter stellte den Tubus des Instruments rauf und runter, und zwischendurch schob er sich auch mal eine Pfeffernuß in den Mund.
«Na», sagte das Tantchen, wenn sie durch die Halle eilte, «forschst du tüchtig?» Eigentlich hätte ja der Schnee vom Eingang weggefegt werden sollen ... Aber ehe man jemanden um so etwas bittet, tut man es lieber selbst. Außerdem: der Junge war ja beschäftigt, wer weiß, vielleicht würde die Leidenschaft, die er für dieses Gerät hatte, später Früchte tragen? Die Universität in Königsberg war nicht weit? Wenn der Junge untätig herumgelungert hätte, wäre das etwas anderes gewesen.
«Laß ihn in Ruhe», hatte Katharina gesagt, als das Tantchen ihn einen Stubenhocker genannt hatte.
Als Peter sich nicht mehr mit dem Mikroskop beschäftigen wollte, stellte er sich ans Fenster und guckte sich die Vögel an, die ratlos herumschwirrten, weil die Vogelhäuschen mal wieder nicht beschickt worden waren, und dann sah er mit dem Fernglas seines Vaters in die Weite, was er eigentlich nicht sollte. Dieses Glas sei kein Spielzeug, wurde gesagt. Immer und immer werde mit fettigen Fingern auf die Linsen gefaßt, vom Verstellen des Glases ganz zu schweigen. «Da hat wieder einer mein Glas angefaßt», sagte von Globig, wenn er mal – selten genug – nach Georgenhof kam.
Peter sah nach Mitkau hinüber, wo neben dem Kirchturm der Schornstein der Ziegelei auszumachen war. Die Schule war wegen der Kälte geschlossen. «Kälteferien», dieser Ausdruck war neu. Die Jugend durfte zu Hause bleiben, aber die Hitlerjugend sorgte dafür, daß sie nicht unbeschäftigt blieb. Auch Peter hatte man an einem klaren Frosttag herausholen wollen aus der Stube, zum Schneeschippen an der großen Mitkauer Kreuzung. Aber da war es eben wieder einmal die Erkältung gewesen, unter der Peter litt, die machte es ihm unmöglich, an dieser Aktion teilzunehmen. «Er hat wieder seinen Katarrh», war gesagt worden.
Husten und Schnupfen hinderten ihn allerdings nicht daran, mit dem Schlitten den kleinen Abhang hinter dem Haus hinunterzufahren, immer wieder. Vor dem Haus schien die Sonne, da wäre es schöner gewesen, aber das hatte man ihm verboten, weil gelegentlich ein Auto vorüberflitzte.
Dann beschäftigte er sich wieder mit dem Mikroskop. Der Hund Jago hielt sich an ihn und legte die Schnauze auf seinen rechten Fuß, und der Kater barg sich in dessen Fell.
Das sei ein Bild für die Götter, wurde gesagt: wie die Katze da auf dem Rücken des großen Hundes liegt?
«Was haben Sie für einen netten Sohn», sagten die Besucher aus Mitkau, die sich gern in Georgenhof sehen ließen, obwohl das ein Fußmarsch von anderthalb Stunden war, «so ein hübscher Junge!» Mit leeren Taschen kamen auch sie, und mit vollen gingen sie wieder davon.
Der «Hagestolz», Studienrat Dr. Wagner, guckte öfter mal ein. Der kümmerte sich um den Jungen, jetzt, wo der Schulbetrieb eingestellt worden war.
Wenn Jugend durch den Kreuzgang der Mitkauer Klosterschule an ihm vorübertobte, hielt er den «Blondschopf» gerne an und sagte: «Na, mein Junge? Hat dein Vater mal wieder geschrieben?» Und jetzt, in den Kälteferien, «kümmerte» er sich um ihn.
Im schönen, warmen Sommer war er mit seinen Quartanern schon mal durch die gelben Getreidemeere gewandert, an das stille, von Weiden umstandene Flüßchen Helge, das in großen Links- und Rechtsschwüngen durch das Land floß. Dort hatten sie sich die Hosen und Hemden vom Leibe gerissen und waren hineingestürzt in das dunkle Wasser. Manches Mal hatte es sich ergeben, daß die kreischende Jugend durch den Wald lief und in Georgenhof landete, wo sie Himbeerwasser vorgesetzt bekam und auf den Rasen im Park gelagert ihre Stullen essen konnte: muntere Sommervögel!
Der Studienrat zog dann seine silberne Querflöte aus der Tasche und blies Volkslieder, vom Haus aus hörte Katharina ihm zu.
Jetzt, im kalten Winter des sechsten Kriegsjahres, kam Studienrat Dr. Wagner öfter mal vorbei, zu Fuß, trotz Eis und Schnee, und auch er pflegte mit einer leeren Tasche zu kommen und mit einer gefüllten wieder davonzuwandern. Äpfel nahm er mit, oder Kartoffeln. Auch mal eine Steckrübe. Die er übrigens bezahlte, denn das Tantchen pflegte zu sagen: «Die wächst auch nicht für Gotteslohn.» Für eine
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