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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Ofen. Das Feuer war ausgegangen, es mußte ganz neu angeheizt werden.

Drygalski
    D rygalski war Kolonialwarenhändler gewesen, die Weltwirtschaftskrise hatte ihm das Kreuz gebrochen, der Laden war unter den Hammer gekommen, und er hatte auf der Straße gestanden mit Frau und Kind. War herumgezogen, hatte Arbeit und Unterkunft gesucht, den Hut in der Hand! Süddeutschland, Westdeutschland – immer vergeblich; Köln, Görlitz, Bremerhaven, und dann hatte es ihn wieder zurückgetrieben in seine Heimat, in sein schönes Ostpreußen, wie er sagte, wo seine Wiege gestanden hatte.
    Und dort war es dann die Partei der Nationalsozialisten gewesen, die sich seiner angenommen hatte: Er hatte im Gauheimstättenamt der Deutschen Arbeitsfront unterschlüpfen können. «Oberwart» war er geworden, und so nannte er sich auch.
    «Ich bin nun Oberwart», hatte er zu seiner Frau gesagt. Und die hatte aufgeatmet: Endlich ging es aufwärts.
     
    Oberwart Drygalski vom Gauheimstättenamt, Zweigstelle Mit- kau, lange arbeitslos und nun in fester Stellung. Braune Schaftstiefel trug er und ein Hitlerbärtchen. Mit dem Sieg der nationalen Revolution hatte das Hungerdasein ein Ende gehabt. Auf dem Dachboden seines Siedlungshauses standen noch Kartons voller Schreibhefte und Radiergummis aus seiner Kolonialwarenzeit und Kisten mit Seifenpulver, Handbürsten und Scheuertüchern, das stammte noch aus dem Bankrott.
    «Der sieht aber auch aus! » sagten die Globigs und lachten hinter der Gardine, wenn er des Wegs kam: «Guck mal, da kommter wieder.» Als ob er durch Wind und Wetter eine sturmzerfetzte Fahne bergan tragen müsse, den Feinden entgegen, so schritt er dahin, und die Globigs saßen hinter der Gardine und lachten und nannten ihn einen Bonzen.
     
    Drygalskis ganzer Kummer war, daß ihm das «von» vor dem Namen fehlte. « Von Drygalski». Wie sehr er auch durch den Schnee stapfte – es ließ sich per Ahnenforschung keine Verbindung zu dem deutschen Polarforscher herstellen, der monatelang durch die Antarktis gezogen war, die Dicke des Eises gemessen und die Richtung des Windes. Er hatte Briefe an ihn geschickt nach München, wieder und wieder – von «Drygalski» zu « von Drygalski», das war doch nur ein kleiner Schritt – ob es nicht vielleicht doch möglich sei, daß? – Alle diese Briefe waren unbeantwortet geblieben. Auch eine Amtshilfe über das Gauheimstättenamt München war erfolglos geblieben, und in Kirchenbüchern hatte sich nichts finden lassen.
     
    Drygalski hatte sich für Wind und Wetter zu interessieren begonnen, er hatte sich einen Windmesser angeschafft, prüfte morgens und abends die Außentemperatur und schlug ans Barometer. Außerdem hielt er trotz der Kälte den Mantel offen, wenn er durch die Siedlung ging, und ließ ihn hinter sich wehen zum Zeichen, daß ihm das nichts ausmacht, diese Kälte. Obwohl er Senk- und Spreizfuß hatte, dachte er: Wir sind ein hartes Geschlecht. Und wenn er den Fremdarbeitern aus dem Waldschlößchen begegnete, zog er die Luft scharf durch die Nase.
     
    Ihm als Oberwart hatte man in der Schlageter-Siedlung ein größeres Eckgrundstück zugewiesen, Ehrenstraße Nr.1, und nun fühlte er sich verantwortlich für die Menschen, die hiereingezogen waren, für die junge Gemeinschaft, die sich zu bilden begann. Die «Albert-Leo-Schlageter-Siedlung», ein solcher Name barg Verpflichtungen. Regelmäßig ging er von Haus zu Haus, sammelte freiwillige Spenden für das Winterhilfswerk ein – niemand soll hungern und frieren – und überprüfte im Sommer, ob die Gärten unkrautfrei, und im Winter, ob auch Schnee gefegt ist. Die Pforten nicht offenstehen lassen, sondern immer schön schließen abends, nicht wahr? Wie sieht denn das aus? Und: Schneemänner sind ja ganz lustig, aber vor jedem Haus einer? Irgendwann lassen die dann eben doch den Kopf hängen und sacken in sich zusammen ...
    So drehte er jeden Tag seine Runde, wenn auch die Hunde ihn anbellten von Zaun zu Zaun.
     
    Der Posten eines Oberwartes und das Eckgrundstück – nun hätte alles gut werden können, aber seit der Sohn in Polen sein junges Leben hatte geben müssen, war das Haus verdammt leer. Als Kind hatte der Junge immer so gern beim Wurstschneiden zugesehen, war die Treppe auf allen vieren hinauf- und hinuntergeklettert, später dann das Geländer heruntergerutscht ... Im neuen Haus, hier in der neuen Siedlung, hatte er oft stundenlang in seinem Zimmer gesessen und nachdenklich in die Weite geblickt. Die

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