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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Strick, der hatte das eine Ende an die Stalltür gebunden und seilerte es in die Länge. Am Gürtel hatte er Bindfäden hängen, die arbeitete er ein.
     
    Peter sah zu, wie der Künstler das alles für die Ewigkeit festhielt. Schade, daß er die Bilder mitnehmen würde.
    «Wie schön leucht’ uns der Morgenstern ... » Ob er den Choral kennt, fragte er den Jungen. «Lieblich, freundlich ... » Die Venus. Manchmal könne man den Planeten am hellichten Tage sehen. Abends heiße er dann allerdings «Abendstern». «O du, mein holder Abendstern ... » Die Venus, jajaja.
    Wer im Mittelalter einen Morgenstern auf den Kopf gekriegt habe, dem wären gewiß ganz andere Sterne erschienen ... Schließlich sagte er: «Also dann, mein Freund» und steckte den Block ein. Er hielt einen der vorüberzuckelnden Wagen an und fuhr davon.
    Woher? Wohin? Das war egal. Hauptsache: weg.
     
    Daß er diesem Künstler nichts von den Ruinen im Wald erzählt hatte, ärgerte Peter: Die nach hinten gekippten Säulen hätten den Mann doch gewiß interessiert? Nun waren sie für immer verloren.
    Vielleicht hätte er sich ja auch für das einsame Grab der Schwester interessiert, im Wald? Aber daran dachte Peter nun überhaupt nicht. An das dachte niemand.
     
    Das Tantchen stand unschlüssig vor dem Telefon. Sollte sie oder sollte sie nicht? War es zu dulden, daß hier ein Mensch durch die Lande reist und alle Menschen aufhetzt? Adolf Hitler einen «Kerl» zu nennen? Mußte man nicht zusammenstehen hinter dem Führer? Gerade jetzt in dieser Zeit?
    Wen riefe man an, wenn es ums Zusammenhalten geht, wer war dafür zuständig: die Gestapo oder die Kriminalpolizei?
    Wie war die Telefonnummer der Gestapo? – Die Polizei stand im Telefonbuch. Würde ein solcher Anruf diskret behandelt werden? Mußte man bei so was vor Gericht erscheinen?
    Dieser Mensch war jetzt gewiß schon über alle Berge. Eventuell könnte man ja Drygalski um Rat fragen oder den Herrn Sarkander?
     
    Katharina saß in ihrem kleinen Zimmer. Weshalb bin ich bloß zu dem Pastor gegangen, dachte sie. Als ob mich der Teufel geritten hätte. Einen wildfremden Mann aufnehmen? Und: Weshalb habe ich nicht einfach ‹NEIN› gesagt? Wenn Eberhard dagewesen wäre, wenn sie den hätte fragen können ...
    Es argumentierte in ihrem Kopf schon Stunde um Stunde hin und her. Und zu den Ängsten gesellten sich andere Ängste, die waghalsige Tour mit Sarkander an die See, die nie herausgekommen war. Gab es Leute, die etwas ahnten? Eberhard hatte nichts davon erfahren. Oder doch? Hatte es ihm jemand gesteckt? Es hatte sich Kälte zwischen ihnen eingestellt. Es war etwas verlorengegangen.
    Weh, nun ist all unser Glück dahin?
     
    Sie konnte sich den Mann, von dem der Pastor gesprochen hatte, den sie hier möglicherweise beherbergen müßte, nicht recht vorstellen, vielleicht jung? vielleicht alt? Irgendwie «abgerissen» oder mit einer Pistole in der Hand?
    Eigentlich ganz interessant. Wer hätte es ahnen sollen, daß man so etwas erlebt? Was waren das für Zeiten?
     
    In der Abseite würde er schlafen können. Sie schob die Truhe beiseite und öffnete das Türchen und stopfte allerhand Kissen und Decken hinein und probierte das Lager aus. Kroch auf allen Vieren hinein. Nach Tabak und Schokolade roch es dort allerdings.
    Vielleicht zerschlüge sich die Sache ja auch. Kommt Brahms vorbei und sagt: Die Sache hat sich erledigt, liebe Frau? DerMann ist bereits gefaßt? Oder: Wir haben eine andere Lösung gefunden.
    Ein bißchen stellte sie sich den Fremden, den sie beherbergen müßte, so vor wie den Maler da unten. Klein, fix und ein bißchen spitzbübisch. Oder handelte es sich gar um ein Skelett mit Dysenterie?
    «Nein», sagte sie, «ich werde mich nicht darauf einlassen.»
     
    Sie horchte hinunter ins Haus. Jetzt war der Mann anscheinend gegangen ... Hätte noch gefehlt, daß er hier eingebrochen wäre in ihre Kemenate wie so eine Art Gutachter! ... Die «Kauernde» hätte ihm vielleicht gefallen?
    Sie blätterte in dem Album mit den Scherenschnitten. Wie gut, daß sie es ihm nicht gezeigt hatte, der Mann hätte gewiß abfällige Bemerkungen gemacht. Die kleinen Gebilde machte sie ja nur für sich, die gingen niemanden etwas an. Aber eben vielleicht doch?
     
    Das Bild, das der Mann von ihr gezeichnet hatte, das Kehrblech vorm Gesicht? Sie hätte es ganz gern gesehen, doch nun war es zu spät. «Vielleicht war das das letzte Mal ... », dachte sie.
    Sie nahm die Holzspäne und legte sie in den

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