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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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anders gewesen. Viel lieblicher und fröhlicher als hier.
    Und das Tor? Was seien das denn da für Gestalten drum herum?
     
    Jetzt habe er auch Mitkau im Kasten, sagte der Maler. Danzig würde die letzte große Aufgabe sein, die er sich gestellt hatte. Erst noch Allenstein, dann Danzig und vielleicht Elbing, und dann würde er zusammenpacken und nach Hause fahren, «ins Reich», wie er sich ausdrückte, und dann mal richtig ausschlafen und sehen, was sich mit all dem Material sonst noch machen läßt.
    Mal neugierig sei er, was er hier noch alles erlebe. Stundenlang im Gefängnis! Mit sechs Untermenschen in einer Zelle! Stundenlang! Arbeitsscheues Gesindel, Gelichter ...
     
    Auch die Mädels interessierten sich für seine Kunst, sie guckten ihm über die Schulter, aber das Tantchen sagte: «Na, was ist?», und da mußten sie weiterarbeiten, Kartoffeln schälen und aufwaschen und den gewaltigen Herd putzen, hinten und vorn.
     
    Der Herd war es, der den Maler zum Zeichenstift greifen ließ, urig! – riesengroß, und diese Esse! Und sofort begann er ihn zuskizzieren, und er skizzierte auch die beiden Mädels, die sich da zu schaffen machten. Mit der rundlichen Vera beschäftigte er sich eingehender, die zeichnete er im Profil, worauf Sonja ins Kütnerhaus raste und ihre karierte Jacke holte.
     
    Gewissermaßen amtlich fragte der Maler dann nach weiteren baulichen Besonderheiten des Hauses, die Keller? und ob sonst irgendetwas Bemerkenswertes, Zeigenswertes ...?
    Der Keller konnte kurz abgetan werden, obwohl mit alten Gewölben versehen und einer Wappenzahl «1605» – hier war es dunkel und feucht. Wasser stand fußhoch in allen Räumen. Die gewendelte Treppe höchstens ... Wer hier wohl schon alles heruntergestiegen war, der Diener, nach Wein geschickt? Oder der Vogt, mit einer Laterne einen Holzdieb vor sich herschiebend? Existierte hier ein Verlies? Hatten hier Wilderer oder pachtsäumige Bauern hinter Schloß und Riegel vegetiert?
    Jetzt gluckste dort Wasser, und grünlicher Schimmel kroch die Wände hinauf.
    Er wisse jetzt, was es heißt, eingesperrt zu sein, sagte der Maler. Die Stunden im Gefängnis werde er nie vergessen. Mit sechs schrägen Typen in einer Zelle! Stundenlang! Arbeitsscheues Gesindel, Gelichter ... Steinhartes Brot habe man ihm angeboten. Die Leute seien drüber hergefallen – wie die Tiere! Und heisere Laute ausgestoßen ...
     
    Dann wurde ein Rundgang gemacht durch das Gutshaus, das der Maler ein «Schloß» nannte. Das Billardzimmer, der eiskalte Saal in Weiß und Gold mit all den Kisten an der Wand. Und der Kamin in der Halle, in dem bereits ein Feuer brannte.
    «Das ist ja ein veritables Feuer!» sagte er und rieb sich die Hände.
    Katharina machte sich am Feuer zu schaffen, sie schlug mitdem Handbeil Späne vom Kaminholz ab. Ihr Profil gegen die aufschlagenden Flammen. Heute hatte sie ihren Schlecht-Aussehe-Tag. An manchen Tagen sah sie so aus, daß alle Leute sagten: blendend! Heute wirkte sie unvorteilhaft, und sie wußte das, und sie nickte dem Gast nur kurz zu, sie hat zu tun, das sieht er ja. Das lange schwarze Haar nur eben mit einer Spange zusammengehalten. Und weil er sie sofort skizzierte, wurde sie unwillig und hielt sich das Kehrblech vors Gesicht.
     
    Vor den Gemälden blieb der Mann stehen. Große und kleinere Formate, allesamt goldgerahmt. Sie waren 1905 zusammen mit dem Gut erworben worden, niemand hatte dafür Interesse gezeigt bisher, niemand sie je abgenommen und mal näher angesehen.
    Die Pferdebilder im Billardzimmer, zwischen all den Geweihen, die Eberhard so liebte, überging er, aber eine Landschaft mit Kühen im Vordergrund, und in der Ferne die Türme Potsdams ... Das war ja etwas ganz Besonderes. Und so was vergammelte hier weitab in der ostpreußischen Provinz? Er notierte sich, daß er hier ganz unvermutet auf ein bemerkenswertes Bild von Potsdam gestoßen sei ... Das geht ja eigentlich nicht, daß das hier hängt ... Er kenne den Reichskonservator von Potsdam persönlich, der würde das bestimmt sofort erwerben ... Das war ja alles sehr interessant, aber Katharina fragte sich: Wieso sollte man das Bild denn verkaufen? Es hing hier doch schon ewig.
    Woher? Wohin?
     
    Dann wandte er sich den großen schwarzen Porträts zu: Was mochte es mit diesen Monstren auf sich haben? Er nahm eines nach dem andern vorsichtig von der Wand und stellte sie nebeneinander. Schwer waren sie! Bloß nicht fallen lassen und dieRahmen zerbrechen! «Um Gottes willen!» sagte

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