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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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das Tantchen, «Wenn das man gut geht!» Was würde Eberhard sagen?
    Der Maler wischte mit einem Lappen über die Bilder hin, aber dabei trat auch nichts weiter zutage. Porträts waren es, kaum noch zu erkennen. Und keinerlei Beschriftung auszumachen, kein Wappen, keine Signatur. Das konnte ja weiß der Himmel wer sein. Alle tot, verreckt, verfault. Von Würmern gefressen...
    Mit Watte und warmem Wasser könnte er der Sache auf den Grund gehen, sagte er. Gern würde er sich ein wenig nützlich machen und sich für die reizende Aufnahme, für das Honigbrot also und die heiße Milch revanchieren?
     
    Peter brachte dem Maler Watte und Wasser, und dann rückte der den Bildern zu Leibe. Er tat das äußerst zart, tupfte hier ein wenig und dort, alles sehr behutsam.
    «Das ist ja hochinteressant», sagte er, und er zeigte die schmutzigen Wattebäuschchen vor. «Aber sehr, sehr häßlich, diese Leute, diese Bilder werden Sie nirgends los ... »
    Er säuberte die Augen, daran hatte er seinen Spaß. Nur die Augen wischte er frei, und sie strahlten aus der braunen Rembrandt-Sauce heraus. Und wie der Wallach die Augen nach hinten drehen konnte, wenn ihm etwas spanisch vorkam, so ließen diese alten Herrschaften nun den Blick in die Runde schweifen. Wo sie sich hier eigentlich befinden?, das fragten sie sich denn doch. Wachten auf aus ihrem hundertjährigen Schlaf und sahen sich um.
    Der Maler hängte die Bilder wieder an die Wand, da hingen sie nun, die Alten. So bald würde sich niemand wieder für sie interessieren.
     
    Das Tantchen sagte, sie hat oben auch noch ein Bild, ob er das mal sehen will. Das stammt noch aus ihrer schlesischen Heimat ...
    Ja, das wollte er, aber seine Zeit ist natürlich begrenzt, er kann sich hier nicht ewig aufhalten. Aber das will er, sich eben das Bild noch angucken. Das Tantchen lotste ihn nach oben, in ihr Reich, wie sie sagte, und er stand in ihrem Zimmer und bewunderte die Mahagonimöbel. Aber das Bild? das Ding da über dem Bett? Ein Pavillon in weißem Rahmen? Nein, das war wohl nichts. Ganz nett gemalt, Aquarell, aber doch wohl eher eine Laiensache. Ein hübscher Pavillon übrigens – aber das Bild, nein.
     
    Bevor er ging, wies er auf das kleine Hitlerbild, das die Tante neben dem Sekretär hängen hatte, unauffällig in Art einer Federzeichnung verfertigt, und er sagte: «Den hängen Sie man jetzt ab.» Und dann wurde er direkt ärgerlich, ob sie denn nicht weiß, was das für ein Kerl ist? Sich den hinzuhängen! Daß ein denkender Mensch so etwas erträgt, diesen Österreicher vor der Nase zu haben, Tag für Tag?
    Ob sie sich mal die Ziegelei in Mitkau angesehen hat. Nein? Die Leute, die da arbeiten? «Die haben kein so schönes Zimmer wie Sie ... » In der Zelle habe er zwei von den armen Schweinen kurz sprechen können, habe ihnen sein Brot überlassen, wie die Tiere seien sie darüber hergefallen ...
    Und, was sie wohl glaubt, was die Russen dazu sagen, wenn sie das Bild sehen?
     
    Er trat ans Fenster und wies auf die Siedlung. Das sei ja ein unerträglicher Anblick, Häuser, die im Gleichschritt marschieren ...
    Das Sekretär übrigens ... eine wundervolle Arbeit, daß das hier so vergammle?
    Als sie wieder auf den Korridor traten, war zu hören, daß gegenüber Katharina in ihr Zimmer witschte, die Tür abschloß, ritsch, ratsch! Das fehlte ihr noch, daß der bei ihr nach dem Rechten sähe!
     
    Ob er wirklich meinte, daß die Russen womöglich noch nach Mitkau kämen? wollte das Tantchen wissen, als sie wieder in der Halle standen.
    «I wo! » sagte der Maler lachend, das glaube er nicht, all die Panzer, die man ihnen jetzt entgegenschickte, das täten die Nazis doch nicht umsonst.
    Aber das hörte sich so an wie: «Kann schon sein.»
    «Die werfen sie glatt bis an den Ural zurück!»
     
    Der Wind hatte nachgelassen, und die Sonne schien kräftig, von den Zweigen tröpfelte es sogar. Er trat hinaus ins Freie. «Ich fahr dahin, denn es muß sein ... », sagte er und begann unverzüglich mit dem Skizzieren des abgeknickten Morgensterns oben auf dem Giebel. Die Eiche mit dem Baumhaus drauf, das schiefe Tor in der brüchigen Mauer. Das Schloß, das gar kein Schloß war, zeichnete er so, daß es von dem schiefen Tor eingerahmt war. Und der Morgenstern stand in der Mitte ganz oben drauf.
    Er hielt danach die beiden Ukrainerinnen fest, die, ein Tuch um Kopf und Schultern, zum Waldschlößchen hinübereilten, ihren Leuten alles zu erzählen. – Wladimir drehte in aller Ruhe einen

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