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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Sonnenuntergänge hatten schwärmerische Gedanken in ihm ausgelöst, die er dann in Reimform zu Papier brachte. Eines Tages war man dahintergekommen, daß er Gedichte macht, und da hatte es Ohrfeigen gesetzt. – Nun war es da oben sehr still. Das Zimmer wurde nicht mehr betreten.
     
    Das Wohnzimmer der Drygalskis war eine «kalte Pracht» für alle Fälle, mit gewaltigen Sitzmöbeln war es versehen und einem runden Rauchtisch – man konnte ja nie wissen, wer in der Nr. 1 mal einkehren würde. Der Kreisleiter war schon dagewesen!Im Amtszimmer standen ein Rollschrank, ein Tisch mit Schreibmaschine und Telefon, in der Wohnküche das ausgesessene Sofa. Das Schlafzimmer mit den glattgestrichenen Betten. Über den Ehebetten hing das Bild des Jungen, Egon Drygalski, in Polen gefallen, im Vorwärtsstürmen sich einen Kopfschuß eingehandelt und sofort tot. Das Porträt hatte ein Kamerad vom Paßbild abgezeichnet, aber die netzartigen Hilfslinien, mittels derer der Maler eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gefallenen hatte herstellen können, waren über dem Gesicht noch zu sehen, die hatten nicht wegradiert werden können. Ein uraltes Waldmeistersträußchen klemmte unter dem Tannenholzrahmen, und einmal pro Monat wurde abgestaubt. Neben dem Bild hing ein Kruzifix, das war nun mal so. Das ließ sich die Frau nicht nehmen.
     
    Drygalski sah nicht nur in der Siedlung nach dem Rechten, seit Jahren hielt er auch die Globigs unter Beobachtung. Zwar gaben die hundertjährigen Eichen der Globigs der Schlageter-Siedlung mit ihren nagelneuen Birken festen «Halt», wie der Bürgermeister es bei der Grundsteinlegung der Siedlung gesagt hatte, aber dieses merkwürdige Baumhaus da in den Zweigen der Eiche, aus dem irgendwelche Säcke heraushingen? Mit einem halben Motorrad vorne drauf? wahrscheinlich wohl sogar mit Nägeln im Stamm befestigt? Dem Jungen dort wurde jede Freiheit gelassen, zwar ein «Blondschopf», ein richtiger deutscher Junge, aber zum Hitlerdienst erschien er nicht, und die Mutter irgendwie weltfremd, die mußte dringend mal zusammengestaucht werden, aber die ließ sich nie blicken. Es mangelte an Gelegenheiten, ihr die Meinung zu sagen.
     
    Wenn er daran dachte, wie er es seinem Sohn gezeigt hatte! Hart war er mit ihm umgegangen, so daß die Frau so manchesMal gesagt hatte: «Muß das sein?» Der Sohn quiekend die Treppe hinaufgerannt und oben in seiner Kammer geschluchzt?
     
    «Der Frau von Globig ist alles egal», sagte Drygalski zu seiner Frau. «Die muß Wind von vorn haben. Und ihren Sohn werde ich mir mal kaufen ... »
    Wind von vorn? Seit es dem Herrn Drygalski besser ging, ging es seiner Frau schlechter, zunächst immer nur so rumgeschlichen – «Nimm dich zusammen, Lisa» –, dann öfter mal hingelegt, und nun bettlägerig! Der Arzt kam ab und zu mit seiner Tasche, aber er ging achselzuckend davon. War denn gar nichts zu machen?
    Der Sohn gefallen, die Frau kümmert dahin und im Keller neuerdings Ratten, wenn man die Spuren richtig deutete?
     
    Der Georgenhof da drüben, von Efeu überwachsen, und der Morgenstern oben auf dem Giebel umgeknickt! – Was sollten denn die Leute denken, die hier vorüberfuhren. Auf der einen Seite die saubere Siedlung, Dach an Dach, schnurgerade ausgerichtet, schmuck und ordentlich, und gegenüber das Gutshaus, früher einmal gelb gestrichen, und nun klettert Efeu dran empor, und Gras hängt aus der Dachrinne?
    Die Hofmauer müßte auch mal wieder repariert werden. Romantik ganz schön und gut, aber eine Mauer ist eine Mauer, und wenn sich Risse zeigen, muß man sie flicken. Und die Geräte endlich mal wegschaffen, die da schon ewig herumliegen, eine Walze und irgendwelche Eggen, alles kaputt und verkommen. Ein Pflug! Verrostet! Dieses Sinnbild einer neuen Zeit: verrostet? – Und das Hoftor hängt nur noch in einer Angel? Wenn das Tor offensteht, Tag und Nacht, wozu braucht man dann eine Mauer?
    Man hatte angefragt, Heil Hitler, ob die Geräte nicht zum Alteisen gegeben werden könnten, zum Guß von Panzern und Kanonen, und da hatte das Tantchen geantwortet: «Das brauchen wir alles noch.» Hatte sogar noch hinzugefügt: «Wo denken Sie hin?»
     
    Was sein eigenes Haus anging, da hatte Drygalski alles im Griff. Wenn bei ihm mal eine Tür klemmte, dann reparierte er sie jedenfalls sofort. Und für seinen Garten hinterm Haus machte er jedes Jahr einen regulären Plan: links Kohlrabi, rechts Stangenbohnen. Am Zaun die Beerensträucher, die müssen auch mal wieder

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