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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Absenderadresse mit einem gewissen ängstlichen Unbehagen in Empfang zu nehmen pflegte. Ich werde hier nicht näher auf meine Unternehmungen in Springfield eingehen, möchte allerdings bemerken, daß ich mich in dieser Stadt, während meiner Aufenthalte in ihren weniger appetitlichen Vierteln, ebenso als Mann von Loyalität und Gewohnheit zeigte wie innerhalb der Backstein- und Granitmauern des College.
    Eher wie in Trance als bei klarem Verstand fuhr ich mit der Droschke zum Hotel zurück, an dessen Ruine sich nach den Fluten aus den Spritzschläuchen der Feuerwehr bereits grandiose Eiszapfen bildeten. Doch ich verweilte nur kurz, da ich, von Kälte und Schock überwältigt, nun heftig fröstelte. Ich kehrte in meine kleine Wohnung in der Woram Hall zurück, wo ich den Aufsichtsstudenten anwies, ein kräftiges Feuer zu machen und ein heißes Bad einlaufen zu lassen.
    Private Badezimmer gab es damals in der Woram Hall nicht – gibt es übrigens auch heute noch nicht –, ich sperrte deshalb die Tür zum Gemeinschaftsbad ab, wie ich das stets zu tun pflegte. Auf den Drehspiegel hatte sich Dampf gelegt, und ich wischte eine kreisrunde Stelle blank, um mein entgeistertes Gesicht zu betrachten. Auf einer Wange war eine blutige Schramme, die ich bis zu diesem Moment gar nicht zur Kenntnis genommen hatte. Es war nicht meine Gewohnheit, vor dem Spiegel zu stehen, denn ich wollte mich nicht als eitler Fant sehen, aber an diesem Abend versuchte ich, mir vorzustellen, wie ich als Mann auf eine Frau wirken mochte, der ich zum erstenmal begegnete. Ich hatte zu jener Zeit – ich war dreißig – ziemlich volles Haar von einem nichtssagenden hellen Braun (meinen Sohn wird das überraschen, denn er kennt mich seit einem Jahrzehnt nur kahlköpfig) und einen stark gewölbten Oberkörper. Das heißt, ich hatte einen kräftigen Körper, einen Körper, der mit meiner geistigen Tätigkeit, die ich vornehmlich im Sitzen ausübte, nicht recht in Einklang stand. Es war mir nie gelungen, die Robustheit dieses Körpers zu verfeinern, statt dessen hatte ich gelernt, damit zu leben. Ich kann nicht behaupten, daß ich je als gutaussehend bezeichnet wurde, nicht einmal bei meinen Besuchen in Springfield; von meinen niederländischen Vorfahren hatte ich ziemlich wulstige Lippen mitbekommen, und die Struktur meines Gesichts war kaum zu erkennen unter Schichten allzu festen Fleisches, ein Erbe, das ich Generationen satter niederländischer Bürger zu verdanken hatte. Um den unvorteilhaften Eindruck abzuschwächen und durchgeistigter zu erscheinen, trug ich eine Brille, obwohl ich sie gar nicht brauchte.
    Nach dieser Musterung, die mich nichts lehrte, was ich nicht schon wußte, außer vielleicht, daß man seine Emotionen nicht so gut verbergen kann, wie man sich das wünschen würde, ließ ich mich ins Wasser gleiten, das so heiß war, daß meine Haut augenblicklich anlief, als wäre sie verbrüht worden. Der Aufsichtsstudent, der, wie ich wußte, auf ein A in Logik und Rhetorik aus war, hatte mir eine Tasse heißen Kakao hingestellt, und während ich mich diesen unschuldigen Genüssen hingab, sah ich unentwegt die Gestalt und das Gesicht Etna Bliss’ vor mir und verspürte von neuem den köstlichen Druck ihres Arms an meinem. Zum Glück rief das heiße Bad, wie das häufig geschieht, eine Schläfrigkeit hervor, stark genug, mich in mein Bett zu treiben.
    Am Morgen erwachte ich in einem Zustand der Erregung und mußte in aller Eile Toilette machen und das Frühstück ganz ausfallen lassen, um nicht zu spät zu meinem ersten Seminar, Die Dichter der Romantik (Landon, Moore, Clare und so weiter) zu kommen. Als ich den Seminarraum betrat, bemerkte ich gleich, daß das Feuer im Ofen ausgegangen war, weil niemand sich darum gekümmert hatte, und die Studenten in Mänteln und Schals dasaßen. Der Raum war, wenn auch im Moment kalt, keineswegs unerfreulich. Vor kurzem hatte man die untere Wandtäfelung weiß gestrichen, eine glänzende Idee, denn so wurde eine Illusion von Licht und Luftigkeit erzeugt, wie sie die in den Unterrichtsräumen allgegenwärtige dunkle Walnußverkleidung bisher nicht zugelassen hatte. Oberhalb der Sockeltäfelung waren große Fenster mit Blick in den von Ulmen und Platanen bestandenen viereckigen Hof. Man konnte diese Aussicht nur im Stehen genießen, und häufig stützte ich mich, wenn meine Studenten ihre Übungen oder Prüfungen schrieben, auf eines der breiten Fensterbretter und schaute hinaus. An diesem Tag war der

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