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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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ihm erlauben …

Zeit
    Mirko Zabel hat das weiße Hemd weit geöffnet. Massiv und braungebrannt ruht der haarlose Kopf auf den Schultern. Mirko hat die Füße auf den Tisch gelegt und den Apparat so eingestellt, dass die Hände beim Telefonieren frei bleiben. Er benötigt sie, um zwischen den Fingerspitzen über einem brennenden Zündholz seine Zigarre zu drehen. Nebenbei verhandelt er mit dem Vorstandschef einer Fluglinie, die noch nicht in Schwierigkeiten ist. Durch eine Kopfbewegung gibt Mirko Walter zu verstehen, dass er sich setzen soll. Aus dem Lautsprecher kommt melodiöses Englisch und verrät die skandinavische Herkunft des Mannes, mit dem er spricht. Es ist vor einiger Zeit durch die Presse gegangen, dass die Fluggesellschaft einen norwegischen Manager berufen hat, der sich – auf den unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern, subtilere Branchenkenntnisse scheinen längst nicht mehr den Ausschlag zu geben – weltweit den Ruf vorzüglicher Entscheidungsstärke in Verbindung mit unbarmherzigstem Durchsetzungsvermögen erworben hat. Jetzt macht er deutlich, dass er irgendetwas Ausgefallenes, Neuartiges wünscht.
    Mirko saugt entspannt an der langen Havanna und lässt seinen Gesprächspartner, der erfahren will, bis wann Zabel und Freunde das Konzept vorlegen können, bereits auf diese Antwort warten. Behutsam entlässt er eine kompakte Rauchwolke aus dem Mund, um dann in aller Gelassenheit dem Kunden ins Wort zu fallen und zu erklären, es habe eigentlich wenig Sinn, jetzt weiterzureden. Ehe er sich nicht mit den Kreativen seiner Firma ausgetauscht hat, kann er dazu sowieso nicht viel sagen – und verabschiedet sich.
    Walter fragt sich nicht zum ersten Mal, ob er noch gut aufgehoben ist in Zabels Agentur. Sie haben sich einen Namen erworben, sind über die Branche hinaus bekannt. Doch kaum etwas verliert seinen Klang so schnell wie ein guter Ruf, der nicht tagtäglich aufgefrischt wird. Der Markt ist zusammengeschrumpft. Kostengünstigere Konkurrenten gibt es überall.
    Mirko ordnet die Füße so, dass sie noch bequemer auf dem Tisch liegen, und fragt Walter jetzt, was er will.
    Der hat vergessen, wieso er vor der routinemäßigen Lagebesprechung noch bei Mirko vorbeigegangen ist. Es wird ihm wieder einfallen, aber was hier gerade zu erleben gewesen ist, wirft die Frage auf, warum sie überhaupt noch miteinander sprechen, wenn sich sein Chef schon in einer strategisch so komplizierten Situation verhält, als lebten sie im Schlaraffenland. Während er sich verzweifelt Gedanken macht, wie sie dem Orkan von Ideen standhalten können, die von allen Seiten rücksichtslos aus den Hirnen brillanter junger Konkurrenzköpfe schießen, ist der Mann vor ihm mit dem Rauchen seiner Zigarre ausgelastet.
    Wortlos verlässt Walter Mirkos Büro. Sie müssen neue Geschichten auf neue Art erzählen. Falls sie dazu keine Lust haben – andere werden es tun. Begreift Zabel das nicht? Ist er überhaupt noch imstande, Verantwortung für die Firma und ihren Kurs zu tragen? Sie können nicht herumliegen und abwarten, ihre einzige Chance besteht darin, früher da zu sein, wo andere später vielleicht auch hinwollen: vorzugreifen – sogar dem Geschmack der Auftraggeber. Zeit schinden bedeutet das Gegenteil. Mirko, der ihn einst ganz aus dem Gespür heraus zum Eintritt in seine Firma aufgefordert hat, dass ihre Mentalitäten und Fähigkeiten sich ergänzen, dass sie zusammenpassen, weil auch Walter mehr wollen würde, als den Leuten zu suggerieren, welche Marmelade auf ihrem Tisch stehen soll – Mirko ist müde. Er hat sich ein Haus im Grünen gekauft, von dem er schnell zum Golfplatz gelangt, wo er wechselnden Mädchen auf immer gleiche Weise das Einputten demonstriert.
    Walter hat sich mit einem Mineralwasser an seinen Tisch gesetzt und sieht durch die gläserne Platte auf seine saftgrünen Strümpfe zwischen der rosafarbenen Cordhose und den schokoladenbraunen Wildlederschuhen. Auch er selbst hat Mühe, wach zu bleiben. Nur liegt das ganz und gar nicht an zuviel Zufriedenheit oder nachlassendem Kampfgeist. Es ist das Ergebnis wachsender Unzufriedenheit, dass Mirko und er nicht mehr an einem Strang ziehen. Gefragt sind jetzt hintergründige Mitteilungsformen. Sie haben mit Nicht zu Erwartendem und Schocks zu arbeiten. Wofür überhaupt geworben wird, darf sich einem nicht aufdrängen. Ein realer Flugzeugentführer mit Bombe in der Hand ist manchmal besser geeignet als ein Fotomodell im nassen Hemd. Daran muss gefeilt werden,

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