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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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aber den Wegen der Seele haben sie zu folgen. Wie stellt Mirko sich denn ihre Kampagne für die Bürgerrechtsbewegung vor? Ohne doppelten Boden wird ihr das entscheidende subversive Element doch niemals einzubauen sein – und Walter hat ihn im Verdacht, dass es ihm so genau auch nicht darauf ankommt. Hauptsache der Kunde zahlt. Eine gründliche Auseinandersetzung über ihr Selbstverständnis steht an. Womöglich aber, fragt sich Walter Tomm, ist all das den Einsatz nicht wert.
    Er muss an die Haut hinter Trixis Ohren denken, daran, wie er es liebt, wenn der Wind in den feinen Haaren spielt. Ihre Filme kann sie überall machen. Warum suchen sie dann nicht zusammen nach dem Platz, wo es ihnen besser geht? Hat Trixi ihm nicht oft genug zu verstehen gegeben, dass sie sich keineswegs besonders wohl hier fühlt? Ja, es stimmt, die Atmosphäre dieses Landstrichs engt sie ein, stumpft sie ab. Sie bekommt nicht mehr mit, was außerhalb ihres Kopfs los ist. Auch er kriegt das zu spüren. Trixi scheint sich nicht die geringsten Sorgen zu machen. Zumindest nicht über die Wirtschaftslage. Ihre ganze Aufmerksamkeit richtet sich gebannt auf einen kleinen Mann mit riesigen Augen, der sich hemmungslos an sämtlichen Möglichkeiten absurder Aufzäumungen entblößter Körperteile berauscht hat, um das Ergebnis dann genüsslich in allen erdenklichen Farben auf die Leinwand zu pinseln. Wahrscheinlich ist Trixi mindestens so reif für einen gründlichen Richtungswechsel in ihrem Leben wie er. Er erwartet von ihr, dass sie sich der Wirklichkeit nicht entzieht. Walter verlangt von Trixi, dass sie ihn liebt – so liebt, wie sie es immer getan hat und er es kennt.
    Er hängt nicht am schweren Auto, auch wenn er sich gerade ein neues gekauft hat. Er braucht keine große Wohnung. Warum beziehen sie kein Landhaus? Ein altes Haus aus Feldsteinen, das Trixi ihnen zu etwas ganz Besonderem herrichten wird. Statt blumentopfgarnierter Balkone kann er sich weites Land vorstellen, über das seine Schafherde zieht. Die schweren dunklen Laibe des Käses, den sie aus der Schafmilch machen, sollen alle Zeit erhalten, um in dunklen Höhlen auszureifen. Schluss mit der sinnlosen Hetze durch ein Leben, das schnell genug vorübereilt! Es bedarf bloß des Entschlusses zum harten Schnitt. Welche Revolution, wenn der Tag wieder ein Tag sein darf, der sich gemessen voranbewegt, so wie die Sonne über den Himmel zieht. Wenn man der Zeit ihre Würde zurückgibt, statt sie zu beleidigen.

Das Treffen
    Zwischen den Bäumen wird mit reichlich Radau gearbeitet – als handele es sich darum, die Schweigsamkeit der im Botanischen Garten versammelten Pflanzen auszugleichen. Verträumt dem Motorenlärm hingegeben starrt ein Mann mit einer merkwürdig veralteten Tasche über der Schulter zu ihr herein ins Grüne. Wenn ihm das so gefällt, warum bleibt er draußen stehen, statt sich das Rasenmäher- und Kettensägenkonzert aus der ersten Reihe anzuhören, fragt sich Trixi. Auf dem Hof begegnet ihr Kupkas Frau in einem Schürzenkleid, das aus demselben Erdzeitalter stammen muss wie das traurige Gepäckstück des Mannes, den sie gerade gesehen hat. Frau Kupka murmelt einen unverständlichen Gruß und verschwindet in der Tür. Mit einem Haufen Reklame aus ihrem Briefkasten betritt Trixi das Studio und stellt die Kaffeemaschine an.
    Irgendwie hat das Gerücht überlebt, Richard Lindner sei einer aus der Riege der Popkünstler gewesen, nur weil er zur selben Zeit wie Wesselmann und Rosenquist in Amerika malte und neugierig war auf das Leben draußen in den Straßen. Dabei ging es ihm um anderes als die plakative Oberfläche des Großstadtlebens. Seine Bilder sind formalisierte Erotik mit Frauengestalten, deren raffinierte Mieder, Gürtelschnallen und Brüste so gemalt sind, dass die Stofflichkeit des Dargestellten in die Materie des Farbauftrags übergeht. Ihre geschlechtliche Energie verzaubert noch klarste Geometrie und unmodulierte Farben aus dem Reich alter Nürnberger Lacke. All das ergibt die atemberaubende Apotheose der Verschmelzung von Liebe und Kunst. Materialisiertes Glück und Glücksversprechen. Der Mann mit Handschellen, Hut und roten Lippen in dem Buch vor ihr sieht sie direkt an, eingefasst in Muster aus farbigen Flächen. Seine Kleidung spielt zwischen beiden Welten, die für den, der ihn gemalt hat, eine einzige gewesen sein müssen: abstrakt und dabei zugleich mit konkretester Leidenschaft für die kleinen vom Schritt wegstrebenden Falten im Gewebe einer

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