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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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Museen, die seine Bilder im Depot verstauben lassen. Wenn der Wind sich dann eines Tages dreht, werden sie alle wieder hervorgeholt. Aber so lange will Trixi nicht warten.

La Grande Dame
    »Der Schläger wartet verpackt im Wandschrank«, steht auf dem Zettel, den Walter auf seinem Schreibtisch vorfindet und mit dem ihn Sandra daran erinnert, dass Mirko Geburtstag hat. Er wird sechzig. Zwar hat er schon vor langer Zeit klargestellt, dass er nicht beabsichtigt, dieses Datum zu beachten, und dringend darum bittet, von Beileidskundgebungen abzusehen. Ganz lässt sich sein Wunsch aber nicht erfüllen. Als nämlich Osvaldo Bava verraten hat, dass er zufällig von einem heimischen, also sardischen Schmied wisse, der äußerst exklusive Golfschläger herstelle, und bei dieser Mitteilung so triumphal in die Runde schaute, dass sein graumeliertes Zöpfchen am Hinterkopf in Schwingung geriet, waren alle gleich davon überzeugt, dieser Vorschlag werde sich kaum überbieten lassen. Der einzige Haken an der Sache ist, wie sich etwas später herausstellen sollte, der Preis. Ein Satz Eisen aus der Schmiede Susini ist auch für gute Freunde wie Bava nicht unter 12.000 Euro zu bekommen. Also beschlossen sie, Bava solle einen einzelnen Schläger – es brauche nicht der billigste zu sein – bestellen. Als Osvaldo bei Susini anrief, empfahl der ihm ein handgeschmiedetes Eisen Nummer Sieben, unauffällig weißvergoldet, bestens geeignet für Crossgolf. Niemand von ihnen ahnte, was das bedeuten sollte, trotzdem wird Mirko, auch wenn er hinwegzusehen wünscht über die Tatsache seiner Geburt am 14. Oktober 1949, diesem Geschenk und ein paar Glückwünschen nicht entkommen.
    Walter nimmt zwischen den vielfachen Reflexen auf der Glasweite, vor der er sitzt, eine Skulptur wahr, die ihm seltsamerweise nie aufgefallen ist: ein eigentümlich formloses Gebilde in stumpfem Braun, das aussieht wie aus Bronze. Jetzt bewegt sich das Ding allerdings, und er stellt fest, dass es sich um seine eigenen auf dem Boden übereinandergelegten Füße in Wildlederstiefeln handelt. Mirko wird also sechzig und tut so, als könne nichts ihn aus dem Gleichgewicht bringen. Dabei treibt ihm eine sinnlose kalendarische Fußnote den Angstschweiß aus den Poren. Dieser Mann weiß, was er will und ist. Sechzig zum Beispiel. Weiter folgen Walters Gedanken dieser Spur nicht. Wenn Mirko Angst hat, wie nennt man dann das, was ihn selbst an der Leine führt? Ihm aber dennoch erlaubt, mit Distanz aufs eigene Dasein zu sehen, auf die Sinnlosigkeit und Lächerlichkeit, deren Anerkennung Mirko sich unter keinen Umständen zumuten würde. Von den Mirkos der Welt trennt ihn genau dies. Er weiß, dass er sich niemals wird einreden können, die Frage von drinnen statt von draußen zu stellen: Was soll das sein, ich?
    Ein Summton aus dem Telefon. Sandra kündigt Besuch an. Kurz vor sechs. Ein kleines Päckchen klemmt unter Trixis Arm, als die ihn damit erschreckt, dass sie auf hohen Absätzen unüberhörbar den glänzenden Epoxidharzboden in seinem Zimmer betritt. Nicht dass ihr Kommen ihn verunsicherte, er genießt ihre Gegenwart. Nur hätte er sich gerne einen Augenblick lang darauf vorbereitet. Es ist, als reiße sie mit ihrem plötzlichen Erscheinen die dünne Haut auf, die sich zwischendurch auf dem Erschreckenden bildet und einen glauben lässt, zwar kein Mirko, aber womöglich noch gewiefter zu sein. Der lange Glastisch erregt stets von neuem Trixis Erstaunen. Sie fragt sich, wie es ihm möglich ist, an solch einem absurden Möbelstück, das mehr ans Bühneninventar eines Varietékünstlers als an einen Schreibtisch erinnert, geordnete Gedanken zu fassen, vor dieser endlosen glänzenden Fläche voller verwirrender Spiegelungen, die auch noch mehr oder weniger durchsichtig ist.
    Walter geht hinüber, um ihr einen Kuss zu geben; Trixis Lippen sind frisch geschminkt, und so dreht sie den Kopf leicht zur Seite, damit sein Mund auf ihre Wange trifft.
    »Du hast ein Geschenk?«, fragt er mit Blick auf das Paket.
    »Ein Buch. Sieh doch die Harlekins von Nabokov.«
    »Harlekine? Was bringt dich auf die Idee, Mirko könnte sich gerade für so etwas interessieren?«
    »Auch nicht schlechter als ein Golfschläger.«
    Walter nickt, er ist irritiert.
    Im Konferenzraum hat Sandra gerade Sektkelche mit Champagner gefüllt. Walter verschwindet, das Geschenk aus dem Wandschrank zu holen, und Trixi wartet, was das wohl für ein ausgezeichnetes Stück Eisen sein mag, wenn die ganze Mannschaft

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