Alles Zirkus
Hose.
Trixi entdeckt nun eine Seite an diesem Künstler, die ihr früher entgangen ist – möglicherweise hat sie sich auch einfach nicht dafür interessiert. Auf den Bildern von Paaren und Fremden, von Frauen oder Männern und oft auch noch einem Tier schlägt emblematische Vordergründigkeit in menschliche Tiefe um. Sie besitzen eine reine Seele. Je länger sie hinsieht, desto stärker wird sie von der Innigkeit berührt, die am Grund dieser Bildwelt ruht. Mit vierzig Jahren ist er nach New York gegangen, wo er sich endlich frei fühlte, seine Kunst ungebremst durch die Fesseln von Traditionen, denen er entstammte, zu entwickeln – ohne dabei zugleich all das, was er davon behalten wollte, fortwerfen zu müssen. Lindner war keiner der Emigranten, die sich in der Vergangenheit einrichteten. Bis ins Alter besaß er eine junge Ausstrahlung, wie auf Fotos zu sehen ist – ein paar davon kleben bei ihr an der Wand. Trotzdem waren viele seiner Freunde dort in New York ebenfalls Europäer, die als Flüchtlinge vor dem Naziregime nach Amerika gekommen sind: Der Zeichner Saul Steinberg und seine Frau, die Malerin Hedda Sterne, stammten beide aus Rumänien. Die Fotografin Evelyn Hofer, mit der Lindner einige Jahre zusammenlebte und die so wie er aus Deutschland geflohen war. Gesucht ist die Form, in der sich all das, worum es ihr geht, zusammenbringen lässt. Tag um Tag füllt sie Karteikarten mit Notizen und Skizzen.
Viele Totalen, wenig Nahaufnahmen.
Manhattan – lange, ruhige Fahrt die Straße entlang, wo doch noch etwas in der Luft sein muss von seiner Existenz. Schwenk hinauf bis zu den Fenstern seines Ateliers. Menschen aus seinem Viertel werden befragt, ob sie Lindner kannten und wer er und seine Freunde für sie sind.
Bilder filmen – z. B.: Hello – Sammlung Abrams, New York. Ludwig II – Cleveland Museum of Art, Disney Land , Museum Ludwig, Köln, Circus-Circus – Privatsammlung (welche?), The Meeting – MoMA, New York.
Straßenmotive, Metrostation, Werbung: Emblematik und Warenästhetik.
Erotische Selbstinszenierungen im Straßenbild, exzentrische Kleidung mit Leder, Fell und Schnallen, glänzende Hundeleiber.
Porträtfotos, die Evelyn Hofer und andere von ihm über die Jahre hin in New York gemacht haben.
Gezeichnete Lindnerporträts, zum Beispiel von Hedda Sterne. Sein Selbstporträt als Knabe.
Nach und nach stellt sie Szenenentwürfe zusammen, notiert mögliche Drehorte, schreibt ihre Fragen auf gelbe Karten und dazu die Namen derer, die sie beantworten sollen. Hedda Sterne lebt noch. Lindner selbst kann sie nicht mehr filmen. Sein Werk jedoch atmet – und ist eigentlich nicht dafür gemacht, sich dem kalten Auge einer Kamera zu ergeben. Trixi blättert in dem vor ihr aufgeschlagenen Kunstbuch. Als er The Meeting malte, das Gemälde, auf dem er sein damaliges New Yorker Milieu zusammenführte mit Erinnerungen an die bestimmenden Figuren und Mythen seiner Kindheit, und als er all das verband, war er sieben Jahre älter als sie jetzt. Zwei Jahre jünger als Walter. Erst mit 52 wurde Richard Lindner ganz zu dem Maler, der er sein wollte. Keines der Geheimnisse, die er malte, verdankt sich dem Schummrigen, Ungefähren. Sie sind hell erleuchtet. Auch sie arbeitet mit dem Licht. Und das macht in ihrem Verständnis gute Bilder aus. Sie raunen nicht und benötigen keine Tricks, denn sie verkörpern selbst das unverpackte Geheimnis der Kunst, deren Natur es ist, sich zu zeigen. Die Augen zu erregen. Und wenn Lindners Werk die Leidenschaft seiner Neuen Welt neben George Grosz und Karl Valentin ins märchenhafte Inventar deutscher Geschichte stellt, zu Kaspar Hauser, Ludwig II. und der Eisernen Jungfrau, beweist das nicht zuletzt eines: Seine Heimat hat ihn nicht kleingekriegt. Er hat gesiegt, bedeutet das. Und das soll ihr Film zeigen.
Bisher freilich ist es Trixi sowenig gelungen wie Bruno Gerber, der den Film produzieren will, eine Fernsehredaktion zu überzeugen. Niemand hat bislang verstanden, warum just dieser Film gedreht und dann auch vielen Menschen gezeigt werden muss. Aber Trixi ist es gewohnt, für ihre Vorhaben zu kämpfen. Den meisten allerdings sagt der Name dieses Künstlers schon gar nichts mehr – womit sie zugleich für erwiesen halten, dass es so auch richtig ist, denn sonst wüssten sie ja, wer sich dahinter verbirgt. Der Rest, dem die Existenz eines Malers Lindner nicht vollständig neu zu sein scheint, begründet sein mangelndes Interesse mit einem Verweis auf
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