Alles Zirkus
verbale Galle – eigene Kraftvergeudung und Behinderung für sie. Ihm allzu sehr zuzuhören kann sie sich gar nicht erlauben, weil niemand hinter ihr steht, der sie aufrichten und in schöpferische Laune zurückversetzen wird, wenn Walter in seine geschniegelte Firma verschwunden ist, die ihm jeden Morgen erst einmal beweist, welchen Erfolg er trotz allem hat. Sie hingegen ist auf sich selbst gestellt. In ihren Gedanken geht es um ganz andere Fragen: Wie kann sie einen Dokumentarfilm über einen Maler drehen, der nicht mehr am Leben ist und den sie deshalb nicht mehr befragen kann? Auf welche Weise lassen sich seine Bilder abfilmen? Und wer ist in der Lage, das zu machen? Trixi trinkt etwas von ihrem grünen Tee und steckt sich eine Clea an. Der Rauch schwebt über dem Tisch. Sie hat keinen Hunger. Bilder fliegen durch ihren Kopf, Männer und Frauen, geometrische Körperteile, gemalt in klaren Farben.
Walter nimmt nichts von alledem wahr, es geht an ihm spurlos vorbei, während er weiter seine apokalyptischen Stimmungsberichte aus dem Innenleben der Weltwirtschaft in die Kaffeetasse haucht.
»Dieses Leben ist eine einzige Zumutung, ohne Freunde, immer nur arbeiten, Tanz ums Goldene Kalb, das längst zum Gerippe aus Bimsstein abgemagert ist, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mir das alles hier zum Hals heraushängt«, flüstert er nach einiger Zeit unvermittelt, und da sie nur schweigt, setzt er nach: »Druck und Hetzjagd nach Erfolg, bis weit über die Grenze des Erträglichen. Aber du verfügst ja Gott sei Dank über genug pompöses Gerede zwischen zwei Buchdeckeln, an dem du dich erfreuen kannst.«
Hinter all seinen Worten sieht Trixi immer wieder nur, wie ein Rasiermesser durch einen Augapfel gezogen wird. Sie versucht ihre Gedanken auf die Frage zu richten, worum es eigentlich geht auf den Bildern dieses Malers, in den intensivfarbigen Kompositionen, die abstrakte Flächenverhältnisse und stilisierte Körperlichkeit vereinen, samt lustvoll ausgeführten Attributen aus Leder und Schnallen, die man anfassen zu können glaubt.
Walter ist noch nicht am Ziel: »Die Lage, in der ich bin – in der die Welt ist! –, verlangt mir alles ab«, haucht er scharf, »alles, mehr als zu ertragen ist.« Er spricht wie zu sich selbst, als bemühe er sich nach Kräften, seine Frau, die ihm am Frühstückstisch gegenübersitzt, mit allem zu verschonen, was seine Existenz belastet. Plötzlich sieht er ihr in die Augen, lässt den letzten süßen Schluck auf dem Boden der Tasse rotieren und sagt im Tonfall nüchterner Betrachtung: »Die Wochen fliegen vorüber. Das Leben zieht dahin. Rauscht fort. Prasselt auf uns nieder, die Frage ist nur, zu welchem Gully es einen gerade fortspült.«
Wenn er so anfängt, weiß Trixi, noch während er es ausspricht, was nun mit unerbittlicher Konsequenz folgt, so wie ein oben auf der Treppe fallen gelassener Ball niemals auf der zweiten Stufe liegenbleibt. Am Abend, spätestens am nächsten Morgen, ist das Sumpfgas aus seinem Kopf entwichen, sein Gemüt hellt sich auf. All das hat keinen Einfluss auf den Lauf der Welt. Nur der Kalender muss umgeblättert werden, ein weiterer Tag ist dann vorbei.
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Als Fremdkörper in der glänzend durchstilisierten Atmosphäre der Agentur hat Walter ein privates Foto an die Wand hinter seinem Schreibtisch gehängt: Die fünfjährige Trixi, aufrecht und tapfer vor der Rainkirche – weiter hinten eine Lärche, die auf einnehmende Weise den Kopf hängen lässt. Bereits damals haben Trixis Augen so geschaut, in sich gekehrt und verheißungsvoll. Ernst spricht aus ihren kindlichen Zügen, die kreatürliche Abwehr jeglicher Doppelbödigkeit und ein Wissen, das in sich trägt, was kommen wird. Eine Schwarzweißaufnahme auf Chamoispapier mit gezacktem Rand. Ettore Ghedina hatte seine Balgenkamera stets zur Hand, immer wieder seine Frau und seine Tochter. Das gelbliche Kinderfoto an Walters Wand ist sein Feldzeichen. In der Agentur verstehen sie sich als Kämpfer. Gladiatoren. In den Geschäftsräumen von Zabel und Freunde gibt es keine Galerie von Urlaubsgrüßen, auf den Monitoren liegen keine kleinen lustigen Gegenstände. An den Flurwänden prangen weder Plakate noch Überreste spektakulärer Kampagnen. Das brauchen sie hier nicht. Sondern Klarheit. Klinische Reinheit wie in der Chirurgie. Sie operieren fremde Gefühle.
An diesem missratenen Morgen sieht Walter erst einmal im Computer die über Nacht aufgelaufenen E-Mails an, dann kommen die
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