Alles Zirkus
echten Briefe an die Reihe. Auf einem Umschlag prangt das schlecht gemachte Emblem, mit dem sich die Bürgerrechtsbewegung zu erkennen gibt, eine erst im Vorjahr gegründete Partei, die Angst, Neid und Versprechungen so kombiniert, dass sich offenbar viele Menschen angesprochen fühlen. Die anderen Parteien beteuern, sie wollten mit der neuen Fraktion nichts zu tun haben. Es gilt nun also, von der anrüchigen Gruppierung zu einer für weite Kreise der Bevölkerung dauerhaft attraktiven politischen Kraft zu werden, der zugetraut wird, in absehbarer Zeit Verantwortung zu übernehmen. Und jetzt will sie natürlich auch einen anspruchsvolleren graphischen Auftritt haben. Der Geschäftsführer der Bürgerrechtsbewegung fragt sogar, ob man sich nicht gelegentlich zusammensetzen könne, um Möglichkeiten zu diskutieren, das – wie es in dem Schreiben formuliert ist – leider etwas diffuse Erscheinungsbild seiner jungen Partei zu verbessern. Was nur darauf hinauslaufen kann, ihre allzu klaren Umrisse im Nebel professioneller Stimmungsmache untergehen zu lassen.
Wie kommen denn gerade wir zu der Ehre, fragt sich Walter. Talent fürs Geschäft ist diesen Leuten – ob nun sympathisch oder nicht – kaum abzusprechen. Ihre Ziele wechseln je nach der politischen Großwetterlage, auch die Vorstellungen, wie sie zu erreichen wären. Bloß was eigentlich dahintersteht, bleibt gleich. All das stößt ihn ab, aber das ist seine Privatangelegenheit. Dass er nicht mit jedem Klienten auch außerhalb seiner Berufssphäre gern zu tun hätte, gehört eben dazu. In diesem Fall, findet er, sollte aber auch die Agentur klugerweise Abstand halten. Zabel und Freunde haben bei dieser Sache wenig zu gewinnen und viel zu verlieren. Vielleicht langt es, ans Image zu denken. Und dann legt Walter den Brief in den Korb mit den guten Nachrichten: Sind die Auftraggeber nicht seriös, entfällt für Zabel und Freunde die Pflicht zu vollständiger Loyalität. Die Kommunikation wird zum Spiel, bei dem niemand so leicht mitbekommt, wem dabei was mitgeteilt wird. Demagogen mit ihren eigenen Mitteln aufs Kreuz legen, ohne dass sie es merken, das muss doch eigentlich ein Fest werden. Die wollen es »diskutieren«? Dann sollen sie ihren Willen haben.
Die Mehrzahl ihrer Klienten hat freilich anderes zu verkaufen als politische Stimmungsmache. Die kommt aus der Industrie. Dort beklagen sie allesamt ihre Geschäftslage so einhellig, wie Walter es noch nie erlebt hat. Aus gutem Grund hält die Agentur Kontakt auch zu Firmen, mit denen sie gerade keine Geschäfte abwickelt. Niemand soll vergessen, wer jederzeit mit frischen Ideen bereitsteht, wenn es aufwärts geht. Mirko behauptet allerdings, dass es längst wieder (wenn nicht die ganze Zeit über) so ist und sich die Profite nur verlagern. Er deklariert das mit Händen zu greifende Desaster zum Werkzeug um, mit dem die weltwirtschaftlichen Regeln modernisiert und die Gewinnströme optimiert werden. Walter wäre schon froh, wenigstens einen Tag über das sonnige Gemüt seines Chefs zu verfügen.
Um elf versammeln sich alle am Konferenztisch. Mit Glätte, die sein blanker Schädel bekräftigt, gibt Zabel die jüngsten Hiobsbotschaften bekannt. Einer ihrer wichtigsten Kunden, ein Autozulieferer, lässt seit einiger Zeit die Rechnungen offen. Dort ist, wie Mirko Zabel ungerührt feststellt, nichts mehr zu holen. Auch die anderen Agenturmitarbeiter zeigen sich kaum beeindruckt von Nachrichten solcher Art. Sorgen macht sich niemand außer Walter. Es beginnt eine rege Diskussion über einige unspektakuläre Projekte ziemlich am Rand des Geschäfts, die ihn langweilen, zum Beispiel die Radiowerbung für ein Musical. Neue Entwürfe aus einer Serie ironischer Zigarettenplakate werden herumgezeigt und zur Vorführung bei den Auftraggebern freigegeben. Ein Mitarbeiter referiert knapp, wie sich die Biomargarine auf dem Markt durchsetzt und was in diesem Zusammenhang weiterhin geplant ist. Gegen Ende der Konferenz geht die Sekretärin Sandra Dubrow – mit unzeitgemäßen Instrumenten in der Hand, einem großen Kalender, Bleistift und Radiergummi – vor versammelter Runde noch einmal alle Termine des Tages durch. Zabel nickt. Bevor sie aufstehen, wird der kraftsprühende Edgar Maurer, der bei jeder Witterung dreißig Kilometer mit dem Rennrad zur Arbeit fährt und vom letzten Unfall den Mund noch voller silberglänzender Schienen und Klammern hat, darauf angesetzt, eine trickreiche Kampagne zur Imageaufbesserung
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