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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Staates, die Transformation des überzentralisierten Einheitsstaats in eine echte Föderation führten zum geplanten Abschluss des neuen Unionsvertrags. Darin war die Anerkennung der realen Souveränität einer jeden Republik verankert, wobei an dem für alle notwendigen gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen Raum, einer gemeinsamen Verteidigung und Außenpolitik festgehalten werden sollte.
    Die Umgestaltungen im Innern des Landes führten notwendig zu einer Wende in der Außenpolitik. Der neue Perestrojka-Kurs brachte einen Verzicht auf den früheren Konfrontationskurs mit sich, auf die Aufteilung der Welt in »wir« und »die anderen« und auf den Versuch, anderen die eigene Lebensweise aufzudrängen. Er erlaubte ein Umdenken über die wichtigsten Faktoren für die Sicherheit unseres Landes und die Wege, sie zu erreichen, und setzte so einen breiten Dialog über die neuen Prinzipien der Weltordnung in Gang. Trotz aller inneren und internationalen Schwierigkeiten hat die Außenpolitik der Perestrojka, die von den Ideen eines neuen Denkens inspiriert war, unstreitig positive Ergebnisse gebracht – das wichtigste ist das Ende des Kalten Krieges. Damit endete eine lange, potenziell lebensgefährliche Phase der Weltgeschichte, da die gesamte Menschheit unter der ständigen Drohung einer atomaren Katastrophe lebte.
    Die Beziehungen mit Staaten des Ostens wie des Westens haben sich normalisiert, wodurch es möglich wurde, unsere militärischen Ausgaben stark zu reduzieren und einen Teil der freigewordenen Gelder in die zivile Produktion zu stecken. Der leidenschaftliche Wunsch der Menschen, die noch das Kriegsjahr 1941 erlebt haben, nie wieder einen solchen Krieg zuzulassen, hat sich endlich erfüllt.
    Der Übergang zu dieser neuen Gesellschaft ist ohne Blutvergießen vonstattengegangen. Es ist gelungen, einen Bürgerkrieg zu vermeiden. Wir sind mit den Reformen so weit gekommen, dass es kein Zurück gab. Bis heute wundern sich viele darüber, wie das in diesem großen und schwierigen Land überhaupt möglich war.
    Das ist das Fazit der Perestrojka, aus dem ersichtlich ist, dass sie keineswegs gescheitert ist. Mit dem Abstand von 20  Jahren fällt es leicht, darüber nachzudenken, was im Laufe der Perestrojka nicht richtig gemacht wurde, welche Fehler wir begingen und wo sich widrige Umstände auf verhängnisvolle Weise potenzierten.
    Das dramatische Paradox der Perestrojka ist eng mit dem Vermächtnis verknüpft, das uns in die Wiege gelegt wurde: Veränderungen zu wagen war mit einem hohen Risiko verbunden, aber auf sie zu verzichten wäre für ein Land in dem damaligen Zustand noch riskanter gewesen. Im Rückblick erkennen wir klarer die wesentlichen Ursachen, die eine Reform der sowjetischen Gesellschaft erschwerten. Im Verlauf der Demokratisierung gewannen die Widersprüche, die sich in den 70  Jahren der Sowjet-Ära angesammelt hatten, rasch an Kraft. Skrupellose Ideologen und verantwortungslose Politiker machten sie sich geschickt zunutze.
    Es wäre aber auch nicht richtig, das dramatische Finale der Perestrojka ausschließlich objektiven Gründen, tragischen Zufällen, der russischen Besonderheit und den Spezifika der sowjetischen Vergangenheit zuzuschreiben. Es gab auch Fehler bei der Führung, auch wenn sie unter starkem Zeitdruck stand und dem Kreuzfeuer der Konservativen, Radikalen und Nationalisten ausgesetzt war, die schließlich eine Einheitsfront bilden sollten, um die zentrale Macht zu stürzen.
    Wir haben die klare Unterstützung des Volkes am Anfang nicht voll ausgenutzt. Ich weiß nicht, ob eine Staatsmacht je eine so offensichtliche vehemente Unterstützung gefunden hat. Doch wir verloren sie zusehends. Wir haben die Zeit verpasst, um die Probleme der Preisfestsetzung und des Marktes zu lösen. Man hätte das Konsumangebot ausbauen, die Rüstungsindustrie mutiger und konsequenter auf die Herstellung von Artikeln für das Volk umstellen müssen. Dann wären die Leute nicht aus dem Konzept zu bringen gewesen. Wir haben die Reformierung der Union und die Umgestaltung der KPDSU in eine demokratische Partei modernen Zuschnitts zu spät in Angriff genommen. Das sind die beiden größten Fehler.
    Die UDSSR war ein »Parteistaat«, in dem die KPDSU und staatliche Institutionen untrennbar miteinander verflochten waren. Eine Schwächung der Partei zog deshalb automatisch eine Schwächung des Staatswesens nach sich. Die Partei wurde wiederum von der Nomenklatur verkörpert, aber ausgerechnet

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