Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Spaß.
Ich möchte jetzt von meinen beiden Großvätern erzählen. Ihr Schicksal ist typisch für das Schicksal der Bauern unter der Sowjetmacht. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte Großvater Pantelej von der türkischen Front zurück, Großvater Andrej von der österreichischen. Beide Familien waren bettelarm. Großvater Pantelej verlor mit 13 Jahren seinen Vater und hatte noch vier jüngere Geschwister. Obwohl von Natur aus ruhig, stand ihm der Sinn nach Veränderungen, er gründete erst eine Bauernkommune und dann eine Genossenschaft zur gemeinsamen Bearbeitung des Bodens, eine damals berühmte Form des Zusammenschlusses.
»Die Sowjetmacht hat uns nicht gerettet, sie hat uns Land gegeben«. Diese Worte habe ich von Großvater Pantelej immer wieder gehört. Und das war entscheidend für sein Verhältnis zur Sowjetmacht. Die Kollektivierung begann. Er wurde Organisator und Vorsitzender einer Kolchose.
Großvater Andrej, von Natur aus schroff, erkannte die Kolchose nicht an und bewirtschaftete sein Land allein. Mein Vater schlug sich auf die Seite von Großvater Pantelej, trat in die Kolchose ein, wurde Traktorist und riskierte den Bruch mit seinem Vater.
Bei Großvater Andrej lief alles gut. Er bekam vom Staat Auflagen, wie viel Getreide er zu säen und wie viel er abzugeben habe, und erfüllte sie gewissenhaft. In beiden Familien normalisierte sich das Leben allmählich, wenn auch auf unterschiedliche Weise.
Da kam das Jahr 1933 mit der schrecklichen Hungersnot. Großvater Andrejs Familie war in einer äußerst kritischen Lage. Sie wussten nicht, wie sie die Kinder ernähren sollten. Drei von ihnen verhungerten im Winter. Als der Frühling kam, hatten sie kein Saatgut. Die Behörden werteten das als Sabotage, als Nichterfüllung des Aussaatplans. Großvater Andrej wurde zu Holzfällerarbeiten nach Sibirien verbannt. Er kam vor der Zeit frei, 1935 , und brachte einige Auszeichnungen mit. Er rahmte die Urkunden ein und hängte sie neben die Ikonen. Nach seiner Rückkehr aus der Verbannung trat Großvater in die Kolchose ein und arbeitete dort bis zu seinem Tod. Und fast immer wurde seine Arbeit als die beste ausgezeichnet, und er bekam eine Prämie.
1938 brach ein neues Unglück über uns herein. Großvater Pantelej wurde auf einmal verhaftet und des Trotzkismus beschuldigt. Sie verhörten und folterten ihn vierzehn Monate lang.
Als sie ihn verhaftet hatten, zog Großmutter Wasilisa zu uns. Sofort änderte sich vieles. Die Nachbarn besuchten uns nicht mehr, und wenn doch, dann nur nachts. Es war, als stünde das Haus unter Quarantäne: »Das Haus eines Volksfeindes!«
Man bemühte sich in der Familie, die schreckliche Zeit zu vergessen. Ich habe nie Einzelheiten gehört. Zu fragen war unangenehm. Später begriff ich dann, dass sie sich nicht so verhielten, um so schnell wie möglich zu vergessen, sondern einfach aus Angst. Solche Gespräche sah die Sowjetmacht nicht gerne.
Fast zwanzig Jahre kam ich nicht aus Priwolnoje heraus. Nur einmal fuhr ich in einem Lastwagen mit einer Gruppe von Mechanikern nach Stawropol, wo uns Auszeichnungen der Regierung für besondere Arbeitsleistungen ausgehändigt wurden. Und noch davor fuhren Tante Sanja (eine Schwester meines Vaters) und ich mit dem Getreidewagen-Tross zum staatlichen Getreidespeicher der Bahnstation Pestschanokopsk.
Das war unheimlich interessant: meine erste weite Reise mit einer Übernachtung in der Steppe am Brunnen, wo sich alle niederließen. Wir aßen zusammen zu Abend und schliefen auf den Getreidewagen. Und am Bahnhof, da sah ich zum ersten Mal eine Lokomotive!
Oft war ich bei Großvater Pantelej und Großmutter Wasilisa, die mit der Zeit ins Nachbardorf zogen, wo Großvater zum Kolchosvorsitzenden gewählt worden war. Darüber waren nicht nur meine Großmutter (das wurde sie übrigens, als sie gerade mal achtunddreißig war) und ich sehr glücklich, sondern besonders meine Eltern. Manchmal versuchten sie, mich im Dorf Priwolnoje zu behalten, aber ich wollte wieder zu Großvater und Großmutter zurück. Alle Versuche meiner Eltern endeten mit einem Sieg meinerseits. Ich lief einen und anderthalb Kilometer hinter dem Fuhrwerk des Großvaters her, bis er sich erbarmte und mich mitnahm.
Mit der Mutter Maria Pantelejewna, 1941
Großmutter wusste später immer wieder davon zu erzählen, wie gut wir miteinander auskamen, wie ich sie zum Beispiel im Haus einsperrte, weil sie mir nicht so viel Zucker gab, wie ich wollte. Was ist da nicht so
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