Allie setzt sich durch - Band 3
Neues Jahr!«
»Hallo, Mrs Hunter!«, riefen wir.
Ich weiß nicht, wie es Caroline, Sophie und Erica ging, aber ich fühlte mich ein bisschen schüchtern, weil ich Mrs Hunter so lange nicht gesehen hatte. Außerdem sah sie so hübsch aus in ihrem dunkelgrünen Wintermantel mit dem breiten Gürtel um die schmale Taille. Ihre Locken quollen vorwitzig unter ihrer Mütze hervor und hoben sich schön von ihrem dicken Webpelzkragen ab.
»Ach, Allie«, sagte Mrs Hunter und schaute mich direkt an. »Schön, dass ich dich schon vor der Schule treffe. Ich habe eine große Bitte an dich. Würdest du bitte gleich zu meinem Pult kommen, wenn du deine Jacke aufgehängt hast?«
»Ja, klar«, sagte ich. Ihre Bitte schockte mich dermaßen, dass ich gar nicht auf die Idee kam, etwas anderes zu sagen. Außerdem, was soll man sonst sagen, wenn einen die beste Lehrerin aller Zeiten um etwas bittet. Etwa nee, keine Lust ?
»Wahnsinn«, sagte Erica, als Mrs Hunter auf den Fahnenmast zuging, um sich dort einer Gruppe von Lehrern anzuschließen. Unter ihren hochhackigen Stiefeln knirschte das Salz, das Mr Elkhart gestreut hatte. »Was kann sie bloß wollen?«
Vielleicht hatte Mrs Hunter meine schöne Wildledertasche mit den Fransen gesehen und wollte mich fragen, wo ich die herhatte. Man konnte nie wissen.
»Keine Ahnung«, sagte ich. Vor den anderen Mädchen wollte ich nichts sagen, was sie eifersüchtig machen könnte. Aber nach einigem Nachdenken war ich ziemlich sicher, dass Mrs Hunter mir mitteilen würde, wie sehr sie mich in den Weihnachtsferien vermisst hatte. Ich hatte einmal mitbekommen, wie sie zu meiner Oma gesagt hatte, es sei eine Freude, mich in ihrer Klasse zu haben. Musste man jemanden, der so eine Freude war wie ich, in den Ferien nicht zwangsläufig vermissen? Na ja, abgesehen von einigen Familienmitgliedern, die das Wort »Dance Party America« nicht mehr hören konnten. Doch Mrs Hunter war ja noch nie bei mir zu Hause gewesen.
»Hoffentlich ist es nichts Schlimmes«, sagte Erica besorgt.
Was sollte das schon sein? Doch kaum hatte Erica das gesagt, ging ich in Gedanken all die schlimmen Dinge durch, die Mrs Hunter mir privat an ihrem Pult sagen könnte. Zum Beispiel, dass ich vor den Weihnachtsferien schlechter geworden war, oder so? Ich war mir ziemlich sicher, dass es nicht so war. Und wenn doch? Und wenn - und die Vorstellung war noch schlimmer - Mrs Hunter mich aus ihrer Klasse werfen wollte, um Platz für das neue Mädchen aus Kanada zu schaffen? Das konnte sie nicht machen. Oder?
»Natürlich ist es nichts Schlimmes«, sagte Sophie. »Wahrscheinlich ist es was Tolles - so in der Richtung: Weil du so schlau bist, kannst du in die Fünfte springen.«
Nur wäre das in Wirklichkeit überhaupt nicht toll. Das würde sich genauso anfühlen, wie wenn sie mich wegen der
Neuen aus Kanada rauswarf. Denn dann wäre ich nicht mehr in einer Klasse mit meinen besten Freundinnen Sophie, Caroline und Erica.
»Wahrscheinlich hast du was gewonnen«, sagte Caroline.
Caroline ist von beiden vierten Klassen der Pinienpark-Schule die Klügste. Die musste es wissen. Sie gewinnt dauernd was.
»Als Mrs Hunter mich das letzte Mal vor der Schule an ihr Pult bat, hatte sie einen meiner Aufsätze bei einem Wettbewerb eingereicht und wollte mir sagen, dass ich gewonnen hatte.«
»Oh wow«, sagte Erica. »Echt? Wäre das nicht super, Allie, wenn Mrs Hunter dir so etwas erzählen würde?«
Das munterte mich auf. Wenn es wirklich so wäre, würde ich mich sehr freuen. Allerdings war ich nicht gerade die Klassenbeste im Aufsatzschreiben. Mathe und Bio lagen mir schon eher. Denn in Mathe und Naturwissenschaften gelten feste Regeln. Und ich bin sehr gut im Befolgen von Regeln. Aber Aufsätze schreiben? Das ist nicht meins.
»Ooooh«, sagte Sophie und klatschte in ihre behandschuhten Hände. Für einen Augenblick hatte sie ihren verletzten Zeh vergessen. »Jetzt weiß ich, was sie von dir will! Bestimmt sollst du dich offiziell um das neue Mädchen aus Kanada kümmern und ihr alles zeigen.«
Erica saugte die Luft ein. »Wetten, das ist es! Oh, Sophie, du bist schlau!«
»Ich weiß«, sagte Sophie bescheiden.
Ich dachte darüber nach, was Sophie gesagt hatte. Es war gar nicht so dumm. Ich meine, warum nicht? Schließlich war ich die zweitneueste Schülerin in der Klasse. Wer wäre besser geeignet, einer Neuen die Schule zu zeigen? Außerdem wusste ich, dass Mrs Hunter mich gut leiden konnte. Ich war eine Freude, das hatte sie
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