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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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und öffnete.
    Zwei riesenhafte Männer, ein alter und ein junger, in grauen Mänteln mit grauen Haaren und grauen Gesichtern verdunkelten den Treppenabsatz. Die Backen des älteren flatterten, die Augen ploppten ihm vor Blickkontaktsuche fast aus den Höhlen. In seinen fleischigen Händen, mit denen er mich leicht hätte erwürgen können, hielt er ein fresszettelkleines Kärtchen in den unverkennbar orange gelbgrünlichen Farben eines Erbauungsbildchens.
    »Wissen Sie, wer Jesus Christus ist?«
    »Der wohnt einen Stock höher«, antwortete ich.
    »Ich spreche von Jesus Christus, unserem Heiland.«
    »Ach so!«, lächelte ich. »Der kommt erst in einer Stunde. Kommen Sie doch solange rein.«
    Die Türsteher Jesu traten mit schweren Schritten in meine Bude. Ich dirigierte Cipión hinaus ins Treppenhaus, schnappte meine Jacke, schloss von außen zu und treppelte hinunter. Oma Scheible würde die Herren bald erretten, allerdings nicht erlösen.
    Die Neckarstraße lungerte sonntagsmüde zwischen vergitterter Staatsanwaltschaft, leeren Hochbahnsteigen und der Häuserzeile mit Schnellbäckerei, Reinigung und türkischem Krimskrams.
    Es war Zeit, um Vergebung zu bitten. Die ersten Herbstblätter sammelten sich schon in den Rinnsteinen. Auf den Fußwegen irrten die Heimatlosen ins Unglück. Brontë schnurrte wie eine missmutige Katze durchs Lehenviertel die Alte Weinsteige hinauf.
    Mein Plastikkärtchen genügte. Die historische Haustür der Kauzenhecke 6B hielt unlauteren Absichten kaum dreißig Sekunden stand. Vom vertrauten Kachelfries begleitet, stiegen Cipión und ich treppauf. Jugendstil bis ins Aluminiumgeländer, dessen Pfosten trompetenförmig ausschwangen. Geschnitzte Perlenschnüre rahmten die mit Tiffanyglas geschmückten Holztüren. In Messingschalen kugelten wie eine Klitoris die Klingelknöpfe. Ich hätte auch Spanner und Haken nehmen können, oder auch nur das Kärtchen. Aber es kam darauf an, dass ich klingelte.
    Schon befürchtete und hoffte ich, es sei vergeblich. Ich Feigling. Ich Närrin! Was erwartete ich denn? Womöglich war er bei seiner Mutter in Balingen.
    Doch die Tür öffnete sich.
    Cipión dackelte hinein, bedachte den Hausherrn mit einem kurzen Schwanzwedeln und bog wie immer zielstrebig in die Küche ab. Ich wischte mir die schweißige Hand am Gesäß ab. Wie begrüßte man einen beleidigten Staatsanwalt? Mit einem frigiden Handschlag?
    Richard schwieg. Nichts, was Männer ausschweigen können, war ihm zu billig, es in seinem Gefrierschrank zu verschließen.
    »Störe ich?«
    Im Dämmerlicht seines Flurs waren Gefühlsregungen schlecht zu erkennen. Aber er gab den Eintritt frei. Das Linoleum floh in Romben und Streifen in die Tiefe. Cipión bummelte mit steiler Rute quer durch den Korridor ins Wohnzimmer. Dort standen, wie ich wusste, knöcheltief im schweren roten Teppich zwei Clubsessel und ein Schiefertischchen.
    Richard bewachte mein Eintreten, als ob jeder weitere Schritt meinerseits die Intimsphäre seiner Wohnung auf unverzeihliche Weise verletzen würde. Nichts würde ihn verführen, eine Frau anzusprechen, ehe sie ihm nicht signalisiert hatte, dass sie angesprochen werden wollte. Da war er altmodisch.
    »Wie geht es deiner Mutter?«
    »Sie hat sich auf große Kreuzfahrt begeben. Rotes Meer, Heiliges Land. Sie wird wohl das Haus in Balingen verkaufen und woandershin ziehen.«
    Dass es ihm nicht gut ging, hatte ich zwischen den Zeilen in der Zeitung lesen können. Denn sein Name war gefallen als Sohn eines Massenmörders. Vom Versagen der Justiz war die Rede gewesen. Und wie ich Richard kannte, hatte er es sich selbst zum Vorwurf gemacht. Auch von seinem Rücktrittsangebot war berichtet worden. Doch der Generalstaatsanwalt hatte es abgelehnt. Er konnte ja nichts für die Untaten seines Vaters. Was die Journaille aber nicht davon abgehalten hatte, ihm die Fragen vorzuschreiben, die er sich stellen musste: Wie konnte es sein, dass ein angesehener Fabrikant und Bibelstündler vierzig Jahre lang unbehelligt über schwule Knaben hatte Jüngstes Gericht halten und das Urteil vollstrecken können, ohne dass irgendjemand, nicht einmal die engsten Familienmitglieder, etwas gemerkt hatte?
    »Hättest du einen Kaffee für mich? In meiner Wohnung sitzen zwei Zeugen Jehovas und warten auf Jesus.«
    Die Küche war von spartanischer Funktionalität und aufgeräumt. In der Ecke am Fenster stand der Kaffeeautomat mit einer Vielzahl von Knöpfchen. Ich wählte eines aus. Das Blinklicht verkündete, dass

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